„Die Gebeine müssen umgebettet werden“
Bei Ausgrabungen am „Haus der Künste“ wurden Überreste von mehreren Hundert Menschen entdeckt.
„Mit Stand 10. Oktober ging es um 527 Menschen, heute sind es weit mehr, weil täglich weitere Funde gemacht werden“, sagte der Direktor der mit den Arbeiten beauftragten Firma „Baltspezarcheologija“ Jewgenij Kalaschnikow im Gespräch mit der Zeitung „Argumenty i Fakty“.
„Hier bei der Haberberger Kirche gab es seit dem 16. Jh. einen Gemeindefriedhof. Wir finden viele Überreste von Kindern und Jugendlichen, auch solche aus dem 17. und 18. Jh., was von einer hohen Sterblichkeit in jener Zeit zeugt. Der Zustand der Knochenreste ist unterschiedlich; manche sind zerbrochen, weil hier 2017 bei Ausschachtungsarbeiten für ein Einkaufszentrum Raupenfahrzeuge eingesetzt wurden. Erst die Staatsanwaltschaft setzte dem Vandalismus damals ein Ende. Wir haben nicht damit gerechnet, hier so viele menschliche Gebeine vorzufinden. Wir packen sie vorerst in nummerierte Kartons. Die Gebeine müssen umgebettet werden. Aber wohin? Wir warten darauf, dass uns die Gebietsregierung zu Hilfe kommt.“
Eine weitere, nicht minder wichtige Frage: Aus welchen Mitteln soll die Umbettung erfolgen? Wer teilt diese Mittel zu? Laut Kalaschnikow sei das Bestattungsunternehmen „Alta“ bereit, die Gebeine zu einem Preis von 20.000 Rubel (ca. 200 Euro) pro Person umzubetten. Damit sollen Särge, Erdarbeiten und sonstige Dienstleistungen bezahlt werden. Die sich ergebende Summe wäre erheblich. Im Vertrag mit der Stadt war sie nicht enthalten, obwohl sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer wussten, dass die Ausgrabungen auf dem Gelände eines archäologischen Bodendenkmals, eines alten deutschen Friedhofs, stattfinden würden. Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit würden dort menschliche Überreste gefunden. Doch jetzt soll dies für die Behörden eine völlig unerwartete Überraschung sein.
Gemäß der gängigen Praxis sind Archäologen verpflichtet, aufgefundene menschliche Überreste an ein Museum zu übergeben, wo sie im staatlichen Teil der Sammlungen zu lagern sind. Die entsprechenden Räumlichkeiten im Museum für Kunst und Geschichte sind jedoch überfüllt. Solange kein neues Gebäude für die Museumsbestände gebaut wird, kann von einer Übernahme dieser Gebeine keine Rede sein. Es gibt einfach keinen Platz. Mit Besorgnis wurde davon vor kurzem bei einer Sitzung eines Rates mit öffentlicher Beteiligung gesprochen, der bei der entsprechenden Behörde für staatlichen Denkmalschutz existiert.
Die Gebeine werden zurzeit von einem extra aus Moskau angereisten Anthropologen untersucht. Andere bedeutungsvolle Funde wurden an der Ausgrabungsstätte bisher nicht entdeckt. Die Bestattungen auf dem Gemeindefriedhof erfolgten bescheiden: Es wurden einige Knöpfe gefunden, eine Anstecknadel, einige Kämme, mehr nicht. Die archäologischen Ausgrabungen gehen weiter, doch die anstehenden wichtigen Entscheidungen in dieser Sache müssen unverzüglich gefällt werden.
Zur Information: Die Haberberger Kirche stand auf dem Bahnhofsvorplatz des Hauptbahnhofs Königsberg. Der Turm mit seinen 77 Metern zählte zu den schönsten Kirchtürmen Ostpreußens. Durch ihre Lage südlich der Innenstadt überstand die Kirche die beiden Luftangriffe auf Königsberg Ende August 1944. Während der Schlacht um Königsberg im Winter 1945 wurde die Kirche schwer beschädigt. Die Außenmauern und der ausgebrannte Turm standen noch bis in die 1950er-Jahre und wurden dann abgebrochen. An der Stelle der Haberberger Kirche steht heute das „Haus der Künste“.