Olga-Friedemann-Ehrung im Jahr 1927. Der Anlass war der 70. Geburtstag dieser starken Frau Ostpreußens. Foto: gemeinfrei

Königsberger Wanderung

Unser Autor Jörn Pekrul, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Seine Berichte über die Spuren Königsbergs in der heutigen Stadt, finden bei unseren Leserinnen und Lesern großen Zuspruch.  Wir wollen ihn nun auf seiner 36. Wanderung begleiten.

STARKE FRAUEN

Teil 36 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung von KE  11-12/2020, 1-12/2021, 1-12/2022  und 1-9/2023

Das Fußballspiel der Kaliningrader Freizeitkicker (KE 09/2023) endete mit einem fairen „Unentschieden“, und wir wollen unseren Wanderweg fortsetzen. Gegenüber dem alten VfB-Denkmal steht ein Haus, dessen Bauweise die 1920er Jahre verrät. Eine alte Postkarte nennt dazu: „Olga-Friedemann-Rentnerheim“. Die Namensgeberin ist Olga Friedemann, eine der größten Persönlichkeiten in der Stadtgeschichte. Sie wurde am 16. Juli 1857 bei Tilsit geboren. Mit 18 Jahren bestand sie die Lehrerinnenprüfung in Königsberg, arbeitete fortan im Erzgebirge, nur um nach kurzer Zeit nach dem frühen Tod der Mutter zurückzukehren und die verwitwete Familie zu versorgen. Als auch der Vater starb, schloss sie sich einer Heimarbeiterbewegung zur Verbesserung der sozialen Nöte an.

Zu dieser Zeit hatten sich bereits mehrere Vereine gegründet, die sich der Not von Frauen in prekären Bedingungen im Haus oder auf den Höfen annahmen. Pauline Bohn (1834-1926, Großnichte des preußischen Staatsmanns Theodor von Schön) gründete 1890 den „Königsberger Verein Frauenwohl“, der sich für eine bessere Bildung von Mädchen einsetzte. Der Verein trat gemäßigt auf und hatte dadurch Erfolg, wofür auch der Boden in Königsberg historisch vorbereitet war. Bereits 1792 bewies Theodor Gottlieb von Hippel mit seinem Buch „Über die bürgerliche Verfassung der Weiber“, dass der Mann mit der Unterdrückung der Frau letztlich sich selbst am meisten schade (KE 02/2022).

Aus dem Verein von Pauline Bohn entstand 1898 durch Elisabet Boehm (1859-1943), der Tochter eines Gutsbesitzers, in Rastenburg der erste „Landwirtschaftliche Hausfrauenverein“, dem sich lokale Vereine anschlossen. 1916 gründete sie in Berlin den „Reichsverband landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine“, der eine provinzübergreifende Interessenvertretung wurde. Parallel zu Elisabet Boehm wirkte Helene Neumann (1874-1942) aus der bekannten Königsberger Gelehrtenfamilie. Helene war künstlerisch begabt, wandte sich aber ab 1903 sozialen Aufgaben zu. Mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters (ein bekannter Pathologe an der Albertina) gründete sie 1904 den „Gewerkverein der Heimarbeiterinnen“ für die Anliegen der im eigenen Haushalt, aber für fremde Auftraggeber arbeitenden Frauen. Zudem ließ sie über eine Stiftung in Sassau bei Rauschen (heute Saretschny bei Swetlogorsk) ein Erholungsheim für Heimarbeiterinnen mit Kindern errichten.

Später gelang es ihr, eine für ganz Deutschland verbindliche tarifliche Bezahlung der Heimarbeiterinnen auszuhandeln. Mit Olga Friedemann gründete sie 1914 den „Königsberger Hausfrauenbund“ und 1915 den „Königsberger Verein der Hausgehilfinnen“.

Doch nicht nur das.  Im I. Weltkrieg bewährte sich die Vernetzung der „starken Frauen“. Auf unbenutzten Baustellen wurden Kartoffeln angebaut und bereits im ersten Kriegsjahr 11.000 Zentner Kartoffeln geerntet. Die Frauen schufen Soldatenrasten, Kurse zu kriegsmäßigem Kochen, zur Erhaltung und Verwertung von Lebensmitteln, Vorsorge mit Fetten und Mühlenpräparaten für Bedürftige  und Kranke und sogar die Schaffung eines Lazaretts, in dem 800 deutsche und russische Soldaten versorgt wurden. Die Landflucht vieler junger Frauen und die Fabrikarbeit vernachlässigte die Unterweisung der Töchter im Haushalt. So strebten die Initiatorinnen eine Aufwertung der Haus- und Heimarbeit durch einen staatlich anerkannten Beruf an.

1924 fand in Königsberg eine Tagung des deutschlandweiten „Reichsverbandes deutscher Hausfrauenvereine“ statt. Am Pregel wurden richtungsweisende Beschlüsse formuliert, die bereits 1926 das staatlich anerkannte Berufsbild „Meisterin der Hauswirtschaft“ erreichten. Es wurde auch praktische Hilfe geschaffen: ein Hausfrauenhaus in Rauschen mit Kinderaufenthalt für drei Wochen zu einem sehr günstigen Preis, ein alkoholfreies Speisehaus in Rauschen (mit Unterstützung der Gemeinde), das vorerwähnte Stiftungshaus in Sassau und das Olga-Friedemann-Rentnerheim von 1928, vor dem wir jetzt stehen (Architekt: Hanns Hopp). Hier konnten Menschen, die durch die Inflation alles verloren hatten, ihren Lebensabend in Würde begehen. Die Aufnahme erfolgte ohne Ansehen des politischen oder konfessionellen Bekenntnisses, sondern nur nach sozialen Gesichtspunkten. Es gab 10 Zweiraum- und 30 Einraumwohnungen jeweils mit kleiner Küche und Gasherd; dazu Gemeinschaftsbadezimmer und Toiletten auf den Fluren. Zudem war ein kleiner Lebensmittelladen vorhanden.

Es fällt auf, dass die Frauenbewegung in Königsberg und Ostpreußen aus dem höheren Bürgertum entstand, weswegen sie auch von den sozialdemokratisch geführten Vereinen in Berlin (die sich oft in unnachgiebigen Verhandlungen mit der Obrigkeit zerstritten und sich dadurch selbst hemmten) anfangs abgelehnt wurden.

In Großbritannien und den Vereinigten Staaten traten Frauenrechtlerinnen sogar als Suffragetten gewalttätig auf. Nichts davon in Königsberg. Geduld, freundliche Beharrlichkeit, beispielhaftes Vorbild und die Güte der Sache brachten in Königsberg den Durchbruch. An ihrem 70. Geburtstag wurde Olga Friedemann durch eine weite Schar von Mitstreiterinnen geehrt. Ihr zur Seite die treue Helene Neumann, von der sie auch in ihren letzten Lebensmonaten gepflegt wurde. Olga Friedemann starb am 23. August 1935.  Im Haus vor uns ist heute eine russische Wirtschaftshochschule untergebracht. Von hier aus setzen wir unseren Wanderweg nach Norden fort zu einem Neubaugebiet.

Jörn Pekrul