Königsberger Wanderung
Unser deutscher Autor Jörn Pekrul, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Seine Berichte über die Spuren Königsbergs in der heutigen Stadt, finden bei unseren Leserinnen und Lesern großen Zuspruch. Wir wollen ihn nun auf seiner 33. Wanderung begleiten.
IN MARAUNENHOF
Teil 33 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung von KE 11-12/2020, 1-12/2021, 1-12/2022 und 1-6/2023
Der Ortsteil Maraunenhof, der uns schon in der letzten Ausgabe mit einem Blumenfenster empfangen hat, erfreut das Auge mit alten Villen und Gärten. Das alles ist gerade mal etwas älter als 100 Jahre, denn erst 1911 begann die Erschließung dieses Terrains für ein Villenviertel. Dabei entstammt der Name noch aus der prußischen Zeit, in der ein „maronis“ die Bezeichnung für einen Bewohner eines Ortes am Haff war. 1571 wurde dieser Ort erstmalig als „Mahrunen Fischer“ erwähnt. In dieser Zeit war es ein Gut im Walde am Oberteich, das 1605 durch einen Erbfall an einen Landwirt kam. Die Chroniken verzeichnen im Jahre 1758 ein Pachtgasthaus mit dem Namen „Maraunenhof“, und das dürfte auch die Quelle des modernen Namens sein.
1905 wurde der Stadtteil in den Stadtkreis Königsberg eingemeindet und man beschloss, mit Neubauten und Infrastrukturen den Ort in das städtische Verkehrsnetz einzubinden. Die damals tätige Terrainaktiengesellschaft baute ein Villenviertel für den gehobenen Mittelstand (ähnlich wie das Friedrich Heitmann im westlich gelegenen Amalienau tat, siehe KE Nr. 12/2020), das in der Folge in dem zu eng gewordenen Zentrum den Tragheim als exklusives, gediegenes Wohnviertel ablöste. Übrigens schenkte die Baugesellschaft der Stadt später noch 24 Schwäne für den Oberteich.
Wir erreichen Maraunenhof über die Oberbaumbrücke von der östlichen zur westlichen Seite. Und da wartet auch schon die erste Überraschung. Am Ende der Brücke ist ein bebautes Grundstück in der Form eines Dreiecks zu sehen. Die hierauf befindliche Villa ist nicht irgendeine, und deswegen wollen wir sie etwas näher würdigen. Sie steht in der Wallenrodtstr. Nr. 12 (ul. Leningradskaja Nr. 12). In den Jahren nach dem Krieg war hier ein Kinderheim untergebracht, das jedoch aufgegeben wurde. Die Villa stand jahrelang leer, und man befürchtete, dass sie wegen Baufälligkeit aufgegeben werden müsse. Dann fand sich jedoch ein Investor und versetzte das Haus ab 2019 wieder in eine gediegene Villa. Bis Kriegsende lebte hier eine Familie, dessen Oberhaupt in der Kneiphöfischen Langgasse Nr. 27 ein Kontor im Renaissancestil mit angeschlossener Weinhandlung besaß. Das Eingangsportal dieses Kontors von 1636 galt als außergewöhnliches Zeugnis in der Architektur (es wurde bei den Luftangriffen 1944 für immer zerstört). Das Kontor trug den Namen „Steffens und Wolter“ und gehörte niemand geringerem als Herrn Max Aschmann. Und die russischen und deutschen Kenner unter uns liegen richtig: Das ist derjenige Kaufmann, der die Stadt Königsberg 1903 mit 100.000 Mark bedachte zur Anlage eines Parks, der im Norden von Maraunenhof angelegt wurde und bis heute seinen Namen trägt.
Hier, in dieser Villa am Oberteich, hat die Familie gewohnt. Und dieses Leben hat ein Nachkomme im Jahre 2018 in Romanform beschrieben. Es ist der 1967 geborene Autor Ulrich Trebbin, der seiner Großmutter ein Denkmal gesetzt hat, das auf wahren Begebenheiten basiert. Die Protagonistin –im Buch heißt sie Ella – befindet sich Ende1944/Anfang 1945 bereits in Potsdam und wagt das Unmögliche: sie kehrt noch einmal nach Hause zurück, auf die „Letzte Fahrt nach Königsberg“. Auf verschiedenen Zeitebenen wird das Leben, das in diesem Hause stattfand, souverän und trotz der Schwere des Themas flüssig erzählt. Und wir entdecken darin auf unserem Wanderweg die Besonderheiten im Alltäglichen.
Bevor wir weitergehen, blicken wir in Richtung des nördlichen Oberteichs. Hier befanden sich früher die „Oberteichterrassen“, ein beliebtes Ausflugslokal, das zeitweise sogar über das Wasser mit zwei Motorbooten namens „Anita“ und „Dorothea“ frequentiert wurde. Sehr zu loben ist die wieder vollständig geschlossene Promenade am Oberteich, die Kaliningrad in den letzten Jahren in herrlicher Weise errichten ließ.
Unser Weg führt auf der ul. Gogolja weiter. Die Straße war früher nach Ernst Wichert (1831-1902) benannt (ohne „e“ im Nachnamen). Er kam aus Insterburg, wurde Jurist und in Königsberg Oberlandesgerichtsrat. 1888 ging er nach Berlin. Neben seinem Hauptberuf war Ernst Wichert schriftstellerisch tätig und verfasste Bühnenwerke, Romane und Novellen. Als Jurist hatte er Einblicke in die sozialen Wirklichkeiten im Kaiserreich. Sein Stück „Ein Schritt vom Wege“ von 1871 fand Eingang in das Buch „Effi Briest“ von Theodor Fontane 1895, das heute zur Weltliteratur zählt.
Wir überqueren ein Rondell, das früher „Bismarckplatz“ hieß und Standort der ersten Villen war. Sie verfielen nach dem Krieg und führten lange ein Schattendasein; es soll jedoch eine Renovierung geplant sein. Als nächstes überqueren wir die Hoverbeckstraße (ul. Turgenewa). Wo früher die Nr. 13 war, befindet sich heute ein Plattenbauriegel mit der Nummerierung 7-17. Dennoch: hier hat er eine Zeitlang gelebt; der „andere Ernst“. Es war die zeitweise Wohnstatt von Ernst Emil Wiechert (mit „e“), den wir bereits im KE 03/2022 gewürdigt haben.
Am Ende der ul. Gogolja geht die Straße in die ul. Perwomayskaja über, der früheren Arno-Holz-Straße. An der rechten Straßenseite fällt eine Versorgungsleitung auf. Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier einst der Bahnhof Maraunenhof für die Strecken nach Cranz und Tilsit stand. Den Zeitläufen widerstanden hat aber ein Ornament an einem Haus in der Hoverbeckstraße. Es ist ein Blumenkorb, und das bestätigt unseren ersten Eindruck, dass wir in einem freundlichen Stadtviertel angelangt sind. Im Licht der Abendsonne ziehen auf dem nahen Oberteich einige Schwäne friedlich ihre Runden.
Jörn Pekrul