Der Dohna-Turm wurde im 19. Jahrhundert als Teil des Königsberger Festungsrings errichtet. Er beherbergt jetzt ein Bernsteinmuseum. Foto: Jörn Pekrul

Königsberger Wanderung

Unser deutscher Autor Jörn Pekrul, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Seine Berichte über die Spuren Königsbergs in der heutigen Stadt, finden bei unseren Leserinnen und Lesern großen Zuspruch.  Wir wollen ihn nun auf seiner 31. Wanderung begleiten.

VON HAGEN ZU DOHNA

Teil 31 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung  aus KE  11-12/2020, 1-12/2021, 1-12/2022  und 1-4/2023

Die ehemalige Kunsthalle am „Wrangel“ beherbergt heute ein Fachgeschäft für Angelbedarf und zwei Geschäfte für Autoreparaturen und -ersatzteile. Diese sehr alltäglichen Einrichtungen lassen nicht vermuten, dass wir vor einem der geschichtsträchtigsten Gebäude aus dem alten Königsberg stehen.

Begonnen hat diese Saga mit dem Kunstschriftsteller Ernst August Hagen (1797-1880), Sohn des Hofapothekers Karl Gottfried Hagen. Die Familie war Teil der Königsberger Gesellschaft in Wissenschaft und Kunst. Sein Schulunterricht in den Jahren 1807/1808 – es war die Zeit des Aufenthaltes der Königsfamilie in Königsberg auf der Flucht vor Napoleons Truppen – erfolgte gemeinsam mit den Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm. Der Lehrer war sein Vater, die Schule die Hofapotheke; wie alles schlicht und praktisch – in Preußen legte man keinen Wert auf Prätention. Nach einem Medizinstudium mit erfolgreicher Promotion 1821 widmete sich Ernst August Hagen der Kunst und der Dichtung (eines seiner Werke fand eine sehr positive Rezension von Goethe), hielt akademische Vorlesungen dazu ab und erreichte 1831 eine ordentliche Professur für Kunst- und Literaturgeschichte. Er stand im Kontakt mit fast allen namhaften Gelehrten und Künstlern seiner Zeit. 1832 gründete er den Kunstverein und erreichte, dass die „Kunstschule“ neben der „Gewerbeschule“ eigenständig bestehen konnte. Er übernahm die Verantwortung für die Kunstsammlung der Universität, initiierte den Bau des Stadtmuseums und die Errichtung der Kunstakademie Königsberg. Hagen spielte auch eine wichtige Rolle bei der Gründung der Altertumsgesellschaft Prussia, die Überlieferungen der Prußen dokumentierte und einordnete.

Zwei Generationen später, um 1912, regte der Maler Eduard Anderson als Vorstandsmitglied des Kunstvereins den Bau einer Halle für Ausstellungen an. Beauftragt wurde Friedrich Lahrs, den wir bereits am ehemaligen Landesfinanzamt kennengelernt haben (KE 07/2022). Lahrs plante ein kleines Museum, das von außen die Form eines antiken Tempels haben sollte. In der Mitte ein sehr hoher Saal, der sein Licht durch Fenster oberhalb des niedrigeren Randgebäudes erhält. An den Längsseiten weitere Ausstellungsräume verschiedener Größe, und an den Stirnseiten jeweils eine Vorhalle. Die Form ist neoklassisch und sehr einfach gehalten. Lediglich die angedeuteten Säulen und die Bänder an Traufe und Giebel deuten einen Schmuck an. Genial ist jedoch der Doppelgiebel: er verstärkt den Eindruck des Tempels und ist, gleich von welcher Ecke man auf das Gebäude schaut, ein Blickfang.  Die Kunsthalle war nach dem Tragheimer Gemeindehaus und dem Polizeipräsidium (KE 09/2022) das dritte Gebäude, das nach Öffnung durch den Militärfiskus auf einem der Grundstücke des Wallrings gebaut wurde.

Wir gehen auf der Wrangelstraße / ul. Tschernjachowskogo in östlicher Richtung weiter. Den Oberteich zur linken, den niedrig gelegenen Schloßteich /Nischnij Prud zur rechten, ist es ein schönes Stimmungsbild, das Wasser und den leichten  Wind auf sich wirken zu lassen. In Sichtweite ist eine Säule zu sehen, die 2018 errichtet wurde. Sie steht inmitten eines Kreisverkehrs (Wassilewski-Platz) im früheren Roßgarten und zeigt ein Werk des Bildhauers Andrej Sledkow. Dargestellt ist Alexander Newski (um 1220-1263), dessen Name auch in Deutschland ein Begriff ist. Er war ein russischer Fürst aus der Dynastie der Ruriken, die als Herrschergeschlecht die Geschicke der Kiewer Rus prägten. 1240 wirkte Alexander als Heerführer erfolgreich in einer Schlacht gegen die Schweden, die nahe des Flusses Newa (daher der Beiname) geschlagen wurde. 1242 siegte er gegen ein Heer des Deutschen Ritterordens auf dem Peipussee. Alexander Newski gilt als Nationalheld Russlands – zu der 1255 gegründeten Stadt Königsberg sind keine Verbindungen von ihm überliefert – und seit 1547 als Heiliger der russisch-orthodoxen Kirche. Seine Geschichte und seine Geschichten wirken auch in der russischen Gegenwart.

Ein militärischer Bezug aus der Neuzeit steht gegenüber: der Dohna-Turm. Er wurde im 19. Jahrhundert in gleicher Bauweise wie der „Wrangel“ errichtet (KE 04/2023) und überliefert eine Geschichte, die seltsam anmutet. Im Zweiten Weltkrieg waren beide Türme schwer befestigte Widerstandsnester. Als die Königsberger Garnison am 09. April 1945 kapitulierte, kämpften die Soldaten im Dohna und dem benachbarten Roßgärter Tor noch einen Tag und eine Nacht weiter. Ob sie die Information nicht erhalten hatten oder sie zu befolgen sich weigerten, ist nicht überliefert. Erst am 10. April 1945 gelang es der 50. Sowjetarmee unter General Oserow, den „Dohna“ einzunehmen. Von diesen dramatischen Ereignissen ist heute nichts mehr zu spüren, denn der „Dohna“ hat eine Art „zweites Leben“ bekommen. Seit 1979 beherbergt er das Kaliningrader Bernsteinmuseum. Mit seinen etwa 14.000 Exponaten gehört es zu den bedeutendsten Bernsteinmuseen der Welt. Ob es außergewöhnliche Inklusen sind oder Rohbernsteine aus dem Tagebau in Palmnicken / Jantarny, ob kunsthandwerklich verarbeiteter Bernstein oder Alltagsgegenstände – hier eröffnet sich dem Besucher eine andere Welt. Egal wie kurz die Zeit für einen Aufenthalt in Kaliningrad ist – der Besuch in diesem Museum ist ein „Muss“. Im heutigen „Dohna“ eröffnen sich die friedlicheren Gefilde der Geschichte, überstrahlt vom warmen Licht der Urzeit.

Jörn Pekrul