Das heutige Kaliningrad bietet viele Erholungsflächen, und eine der schönsten ist der Oberteich. Foto: I.S.

Königsberger Wanderung

Unser deutscher Autor Jörn Pekrul, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Seine Berichte über die Spuren Königsbergs in der heutigen Stadt, kommen bei unseren Leserinnen und Lesern gut an.  Wir wollen ihn nun auf seiner 29. Wanderung begleiten.

AM OBERTEICH

Teil 29 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung  aus KE  11-12/2020, 1-12/2021, 1-12/2022  und 1-2/2023

Beim Verlassen der ehemaligen Handelshochschule trägt ein leichter Wind ein frohes Lachen herüber. Es kommt aus der Richtung des Oberteiches und das sei eine Ermunterung, nach den vielen Entdeckungen zwischen gestern und heute einen Wanderungsabschnitt der Entspannung einzulegen.

Das heutige Kaliningrad bietet viele solcher Erholungsflächen, und eine der schönsten ist der Oberteich. In den letzten Jahren wurde der Rundweg im nördlichen Teil baulich verknüpft, und Tretboote fahren über das Wasser. Von morgendlichen Freizeitjoggern bis zu abendlichen Spaziergängern bietet das Ufer eine attraktive Promenade. Dabei war seine Entstehungsgeschichte ganz anders geplant. Der Deutsche Orden legte den Oberteich um 1270 zum Aufstau von Wasser an, das aus den Gräben des Samlands die Stadt erreichte. Die hauptsächlichen Zuflüsse waren der Landgraben, der vom Kirchenteich in Wargen/Kotelnikowo gespeist wurde, und vom Wirrgraben, der vom Dammteich/Swobodnoje kam.

Das Samland besitzt nicht viele natürliche Seen. Doch enge Talschluchten und starkes Gefälle boten sich im Mittelalter an, durch solche Stauungen eine Reihe von Teichen anzulegen. Sie gaben dem Landschaftsbild einen gewissen Reiz, hatten jedoch vornehmlich wirtschaftliche Zwecke. Durch Mühlen konnten Energie und Kraft gewonnen und weiter genutzt werden. Der Oberteich, 22 Meter über dem Pregel gelegen, war hierfür ideal. Erst mit dem Aufkommen der Industrialisierung nahm die Zahl der Teiche ab. Eine Generalstabskarte von 1862 verzeichnet etwa 40 Teiche im Samland. Die Schröttersche Karte (1796-1802, siehe KE Nr. 09/2021) enthielt noch die doppelte Anzahl. So sind schon im 19.  Jahrhundert in 60 Jahren etwa 40 Wasserflächen verschwunden. Heute ist im Stadtbereich noch der Lauther Mühlenteich/Tschistyj Prud zu erwähnen, welcher der größte der Teiche im Stadtbereich ist.

Das Wasser des Oberteiches, der am südlichen Ende gestaut wurde (an der späteren Wrangelstraße/ul. Tschernjachowskogo) und dann über die Kaskaden in den Schlossteich/Nischnij Prud übergeht, wurde dort von vier Bächen abgelassen, welche durch die Stadt Richtung Pregel zogen. Von ihnen wurden viele öffentliche Brunnen und Pumpen versorgt. Die Leitungen bestanden aus Eichenholzrohren, und zwei dieser Bäche – genannt Studentenfließ und Mühlenfließ – wurden sogar zu Teichen für die Haltung von Schmerlen erweitert, mit denen auch die herzogliche Tafel im Schloss versorgt wurde. Doch diese Bäche versumpften mit der Zeit, und die Gerüche, die dieser Prozess mit sich brachte, ließen auch neue Namen entstehen: den „Faulen Teich“ und, nicht frei von Humor, das „Schwarze Meer“. 1872 war es genug, die Stadt kaufte diese Fließe an und schüttete sie kurzerhand zu (und am 01. April 1882 ging die Verwaltung des Oberteichs vom Landkreis auf die Stadt Königsberg über).

Ein weiterer Fließ, die Katzbach, wurde 1903 kanalisiert und floss über den Mühlenberg zum Pregel; also in etwa dort, wo heute das „Haus der Räte“ aus sowjetischer Zeit steht. Am Oberteich befanden sich vor dem Krieg zwei Badeanstalten im südlichen Bereich, und zwar vom „Schwimm-Club Hansa e.V.“ an der östlichen Seite (benachbart zu einem Schwimmbad, das von Angehörigen des Militärs genutzt wurde) und vom „SchwimmVerein Prussia“ an der westlichen Seite. Im nördlichen Bereich gab es noch einen Angler-Club und die Vereins-Badeanstalt des Königsberger Schwimm-Clubs K.S.C. Für das leibliche Wohl sorgten das Cafй von Herrn Paul Räder, die „Villa Oberteich“, sowie die „Oberteichterrassen“ mit einem malerischen Blick über das Wasser.

Der Blick wird damals schon ein Kunstwerk erreicht haben, das auch heute noch steht. Der Maler und Radierer Hermann Thiele, 1867 in Düsseldorf geboren und 1913 nach Königsberg übergesiedelt, entwickelte sich hier zum „Architekturbildhauer“ und schuf eine Gruppe von Tierfiguren: ein Walroß, einen Seeelefanten, einen Seehund und einen Seelöwen. Das Ergebnis ist ihm leicht humoristisch gelungen, und man darf vermuten, dass dies auf die rheinische Lebensart zurückzuführen ist. Die Physiognomien der Tiere zeigen eine Gutmütigkeit, die teilweise tollpatschig wirkt, bis hin zu einer protzigen Aufgeblasenheit. So in etwa die Beschreibung des Königsberger Heimatforschers Herbert Meinhard Mühlpfordt. Diese sympathischen Figuren sind ein bis heute vielfotografiertes Motiv in der Stadt. Auf halber Höhe des Oberteichs befand sich im 19. Jahrhundert – als Teil der Königsberger Stadtbefestigung – ein sogenanntes Ravelin, eine Art Fort. Es hatte die Aufgabe, Angriffen zu begegnen, um damit auch den offenen Stadtzugang zwischen dem Wrangel- und dem Dohnaturm zu sichern. Im Zuge der Entfestigung verlor das Ravelin seine Funktion, und dort entstand ein Rosengarten.

Nach dem Krieg wurde auf dieser Fläche ein Jugendpark gegründet, der sich, dank einer Förderung von Frau Ludmila Putina, die in der Umgebung ihre Kindheit verbrachte, zum besten Vergnügungspark im Gebiet entwickelt hat. Ein Riesenrad, eine Kartbahn und eine „Kinderautostadt“, ein 5D-Kino, ein „Geisterschloss“, ein auf den Kopf gestelltes Wohnhaus bieten ein Programm für die ganze Familie. Einen Besuch lohnt auch ein privates Marzipanmuseum in diesem Park, das künstlerisch hochwertige Variationen dieser Köstlichkeit herstellt. Für die Besucher ist sogar eine Mitmach-Werkstatt im Angebot. 

Jörn Pekrul