Im Kaliningrader Marzipangeschäft. Foto: Jörn Pekrul

Königsberger Marzipan – auch in Kaliningrad

Seit 2015 wird Marzipan unter dem historischen Namen „Pomatti“ in Kaliningrad produziert. Damit findet eine Königsberger Tradition ihre Fortsetzung.

Die Geschichte vom Königsberger Marzipan begann in Königsberg 1809.  Aus Graubünden kam ein Herr Pomatti an den Pregel, der hier eine der ersten Marzipanfabriken schuf. Etwa zur gleichen Zeit, 1806, gründete der Kaufmann Johann Georg Niederegger eine ähnliche Manufaktur in Lübeck. Im Grundrezept wurden und werden Mandeln mit Zucker vermischt, die dann zu Spezialitäten hoher Qualität weiterverarbeitet werden. Ursprünglich aus Persien kommend, gelangte diese Süßspeise im Mittelalter nach Spanien. Dort entstand das heute noch berühmte „Marzapan de Toledo“.

Mandeln waren ein Luxusgut, dessen Modellierfähigkeit die Zuckerbäcker im Barock zu kunstvollen Kreationen inspirierte. Derlei Extravaganzen waren in der nüchternen Stadt am Pregel nie in Blüte, jedoch entstand hier eine besondere Raffinesse. Der Mandelanteil wurde zu Lasten des Zuckers erhöht, und der Masse wurde – neben etwas Puderzucker und Eiweiß –  noch ein Schuss Rosenwasser hinzugefügt, was eine besondere geschmackliche Note ergab. Im Backofen wurde für eine kurze Zeit die Oberhitze verstärkt, was dem Marzipan seine karamellisierte Oberfläche mit dem goldbraunen Farbton gab. So entstand ein angenehmes „Brotchen“, das durchaus gehaltvoll war und dennoch den Magen nicht überlastete. Von einem kalorienreichen Schokoladenüberzug wie das Lübecker Marzipan (das auch kein Rosenwasser beinhaltet) blieb das Königsberger Marzipan verschont.

Im Laufe der Zeit entstanden Familienbetriebe wie der von Henry Schwermer aus Memel, der in Berlin im Cafй Kranzler sein Handwerk gelernt hatte und 1894 sein „Kaffeehaus mit Confiserie“ in der Königsberger Münzgasse 3 eröffnete. 1912 gründete Kurt Gehlhaar seine „feinste Marzipan- und Schokoladen-Konditorei“.

Nicht zu vergessen die „Königsberger Marzipan-Spezialitäten“ von Ewald Liedtke, der das Vermächtnis seiner Vorfahren Pomatti aufnahm. Andere Familienbetriebe zogen nach, und die Namen Amende, Motzki, Müller, Petschelies, Plouda, Wald und „Zappa in der Französischen Straße“ gelten den Einwohnern der alten Stadt auch heute noch als klangvolle Namen gehobener Tischkultur. Das Königsberger Marzipan wurde eine Weltmarke.

In Deutschland hatten sich damals zwei Formen der Nachmittagseinladung herausgebildet: von 16-17 Uhr gab es die Einladung zum Kaffee. Sie war im Allgemeinen mehr eine Sache der Damenwelt, nicht zuletzt der älteren. Eine Torte und vielleicht noch ein Kuchen standen auf dem Tisch, und dann wurde „geklatscht“ und sich in fröhlicher und lebhafter Runde über dies und das ausgetauscht. In Königsberg war mehr die Einladung zum Tee üblich, die zwischen 17 und 18 Uhr stattfand. Ein Kuchen wurde zum Tee nicht serviert, stattdessen aber kleines Gebäck, wofür der „Bunte Teller“ mit den verschiedenen Variationen des Königsberger Marzipans ideal war. In beiden Einladungen aß man sich auch nicht satt, sondern „knabberte“ nur. Wenn die Einladung zum Tee mehr formeller Art war, dann behielt die Dame den Hut auf, legte aber die Handschuhe ab. Doch im Ganzen achtete man im gesellschaftlichen Verkehr mehr darauf, dass eine Form nicht so starr werden darf, dass sie nicht durch irgendeinen menschlichen oder vernünftigen Grund einmal umgebogen werden könnte. Ausschlaggebend waren bei beiden Einladungen nicht die materiellen Genüsse mit Schlagsahne und vielleicht noch drei oder vier Sorten Likör, sondern das Wohlbefinden der Gäste und die Atmosphäre, die die Gastgeber zu schaffen verstanden.

Die Familienbetriebe bauten ihre Existenz nach dem Krieg wieder auf und hielten den hohen Standard des Königsberger Marzipans. Gehlhaar ist heute in Wiesbaden eine Adresse von Rang, ebenso Liedtke in seinem heutigen Stammhaus in Sinsheim. Beide Häuser bieten immer noch Königsberger Marzipan in höchster Qualität an. Ihnen mindestens ebenbürtig ist die Konditorei Wald, die von dem 1905 in Königsberg geborenen Konditormeister Paul Wald gegründet wurde und seit 1947 in Berlin-Charlottenburg ansässig ist. Man betritt das Ladenlokal – und fühlt sich um 100 Jahre zurückversetzt.

Doch auch in Kaliningrad, am Stammort, hat das Königsberger Marzipan ein zweites Leben bekommen. Seit 2015 produziert ein russischer Jungunternehmer unter dem historischen Namen „Pomatti“ Marzipan. Die Rezeptur variiert etwas zu den traditionellen Rezepten, doch es findet sich auch hier ein Mandelanteil sowie Bestandteile von Sirup anstatt Zucker. Das Kaliningrader Marzipangeschäft an der ehemaligen Cranzer Allee, der heutigen uliza Aleksandra Newskogo 51B, verströmt den Charme des frühen 20. Jahrhunderts und bietet ein reiches Sortiment aller gängigen Sorten von Marzipan an.

Wer sich weiter informieren möchte, findet im Südwesten der Stadt einen Höhepunkt: Im alten Brandenburger Tor ist in den letzten Jahren ein Marzipanmuseum eingerichtet worden. Die Herstellung und die Besonderheiten des Marzipans Königsberger Provenienz werden umfassend erklärt, und alte Geräte sowie neue Kaliningrader Kunstwerke von Königsberger Bauten aus Marzipan beeindrucken die Besucher. Zu dieser russisch-deutschen Symbiose könnte sich der Königsberger Marzipanfabrikant Henry Schwermer gesellen: Als er am Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin seine Ausbildung machte, hatte er nicht nur mit dem Verkauf von Königsberger Marzipan Erfolg. Sehr beliebt war bei den Berlinern auch ein Eis, das aus Russland kam.

Jörn Pekrul