Dem eindrucksvollen Gebäude folgt ein großer Trakt, in dem sich heute das Baltische Marine-Institut befindet. Foto: KE

Königsberger Wanderung

Unser deutscher Autor Jörn Pekrul, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Seine Berichte über die Spuren Königsbergs in der heutigen Stadt, kommen bei unseren Leserinnen und Lesern gut an.  Wir wollen ihn nun auf seiner 25. Wanderung begleiten.

ZWEI ARCHITEKTEN

Teil 25 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1-11/2022

Dort, wo die Stresemannstraße (Sowjetskij Prospekt) im Norden das engere Stadtgebiet verlässt, führt ein Kreisverkehr unter anderem in die Schleiermacherstraße. Hier besichtigten wir bereits die ehemalige Gehörlosenanstalt (KE 07/2021).

Wir richten heute unsere Aufmerksamkeit auf die östliche Seite dieser Straße. In dem Wohnhaus, das noch aus der Vorkriegszeit erhalten geblieben ist, wohnten früher einfache Arbeiter. Hier ist nichts mehr zu spüren von dem Mittelstand, der sich im zentrumsnahen Bereich dieser Straße niedergelassen hatte. Doch das Haus daneben (Bild unten links) birgt eine kleine Überraschung. Auf den ersten Blick vermutet man einen neoklassizistischen Bau, und das ist nicht ganz falsch. Jedoch verrät ein näherer Blick auf Fassadendetails, dass sich hier auch eine sowjetische Handschrift befindet.

Tatsächlich wurde dieser Bereich der Stresemannstraße im Krieg stark zerstört, und so erfolgte hier eine Neubebauung in den 1950er Jahren. Federführend für diese Anlage war der russische Architekt Dmitrij Nawalichin (1911-1991). Er ergänzte sein Fachwissen durch eine Ausbildung als Kunstmaler an der Allrussischen Kunstakademie und bekam erste Aufträge in Leningrad und Moskau. 1947 kam er nach Kaliningrad und wurde Chefarchitekt der Stadt – eine Position, die er bis 1955 innehatte. In seinen Ideen war er sich ähnlich mit dem bekannten russischen Architekten Arsenij Maximow (1912-2003). Beide plädierten dafür, die grundsätzliche Struktur der Königsberger Stadtblöcke beizubehalten und sogar das Königsberger Schloss stehen zu lassen. Mit dem letzteren Vorschlag konnten sie sich nicht durchsetzen, jedoch wurden andere Ideen von dem staatlichen Institut für Stadtplanung weiterentwickelt.

So entstand unter anderem die Beibehaltung und Verbreiterung der Vorstädtischen Langgasse zum Hauptbahnhof (heute Leninskij-Prospekt  zum Südbahnhof). Übrigens ist der Architekt Arsenij Maximow Kennern auch als Zeichner bekannt. Unmittelbar nach dem Krieg verewigte er die Königsberger Ruinenlandschaft in Aquarellen. Es sind künstlerisch und historisch wertvolle Dokumente geworden, weil sie nicht nur einen einmaligen Blick auf die Zeit werfen. Sie sind in ihrer Klarheit auch eine Geschichte dessen, was der Krieg angerichtet hat – so äußerte sich der Künstler später dazu. In Deutschland erschienen diese einmaligen Bilder 1991 als Leihgabe des Kulturfonds Kaliningrad und der Kunstgalerie Kaliningrad in Buchform, herausgegeben vom Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg. Wir wollen daraus den Gesekusplatz 1945 zeigen.

Der Berufsweg von Dmitrij Nawalichin führte ihn zum Leiter der Gebietsverwaltung für Architektur und in verschiedene Lehraufträge. Und mit seinem Kaliningrader Vermächtnis, dem Häuserblock am nördlichen Stadtende der Stresemannstraße, können wir fortan zwei außergewöhnliche russische Persönlichkeiten mit einer Beziehung zu dieser Stadt verbinden.  Dem Gebäude folgt ein großer Trakt, der ebenfalls in der Nachkriegszeit entstanden ist. In ihm befindet sich heute das Baltische Marine-Institut.

Vor dem Krieg befand sich auf diesem Abschnitt eine der bekanntesten Brauereien von Königsberg, die Hufen-Brauerei. Manch alter Bierdeckel ist noch erhalten, und er macht Werbung für ein gutes Vollbier „nach Dortmunder Art“ – es wird demnach ein Pils gewesen sein. Jedoch hatte die Brauerei auch andere Sorten im Angebot.

Ansonsten lebten in diesem Abschnitt der Stadt Menschen mit harten Berufen:  Arbeiter, Kutscher, Heizer, Straßenreiniger, Kraftfahrer, Stellmacher, eine Schneiderin, ein Landwirt. Menschen wie wir Heutigen – ausgesetzt den Anforderungen ihrer Zeit und der Aufgabe, sich in ihr zu behaupten und anständig zu bleiben. Wie gerne würde ich uns jetzt mit den damaligen Menschen zu einem gemeinsamen „Hufen-Bier“ zusammenbringen – was gäbe das für einen Abend!

Unser Weg geht weiter und wir biegen nach links ab in die Schindekopstraße (uliza Oserowa). Auch hier war ein einfaches Wohngebiet, wovon gleich das Haus am Anfang der Straße einen Eindruck gibt. An der nächsten Straßenecke links hinein, kommen wir in die Rantaustraße (Pereulok Scheljabowa). Und da fällt ein Sportplatz auf, der erst in den letzten Jahren entstanden ist (vorher war hier ein kleiner Hügel). Der Platz gehört zu einem Schulgebäude, dessen Baustil die frühen 1930er Jahre verrät. Die Fassade ist schmucklos, zweckmäßig und sparsam, jedoch klar gegliedert mit Fenstern, die in Dreiergruppen zusammengefasst sind. Von einem Mittelflur aus gehen die Klassenzimmer ab, und der Bau ist so gestaltet, dass er mit einem Treppenhaus auskommt. Im hinteren Bereich befinden sich noch drei weitere Gebäude, die mit dem Vorderbau ein Karree bilden. Das Dach und der Uhrenturm haben sich erhalten, und der Schlag der Uhr erinnert uns an den Lauf der Zeit.

Bald werden die Weihnachtstage anfangen. Lassen Sie uns an dieser Stelle das vergangene Jahr rekapitulieren und uns einander – mögen wir diesen Beitrag nun in Russland oder in Deutschland lesen – besinnliche Tage und ein gesundes und friedvolles neues Jahr wünschen. Auf ein frohes Wiedersehen in 2023 freut sich

Ihr Jörn Pekrul