„Blutgericht“: eine alte Tasse oder Splitter aus der Vergangenheit
Wo in Königsberg einst das Königliche Schloss war, ragt heute das Haus der Räte – eine Bauruine aus der Sowjetzeit – in den Himmel. Auch bereits vor dessen Bau Mitte der siebziger Jahre und auch in der Zeit danach war der königliche Berg stets das Ziel von Ausgrabungen.
Unter anderem wurde nach dem vermissten Bernsteinzimmer gesucht, der KE berichtete mehrmals darüber. Was also hier im Herzen der alten Stadt noch auszugraben war, muss von Archäologen und Hobby-Schatzsuchern längst entdeckt worden sein. Artefakte, darunter einzigartige, sind an Museen übergeben worden, einige Sachen sind in Privatsammlungen gelandet. Es schien, als habe die Schatzsuche auf dem Schlossgelände endgültig ihr Ende gefunden.
Es gibt aber in Kaliningrad Orte, wo hin und wieder doch originale Fundstücke aus den Sammlungen des Schlosses entdeckt werden. Es geht dabei um die alten deutschen Müllhalden, auf denen man in der Vorkriegszeit Glasflaschen, altes oder zerbrochenes Geschirr und sonstigen nicht verwertbaren Müll entsorgte. Diese Halden befanden sich in der Regel am Stadtrand. Heute sind sie mit Bäumen überwachsen oder versumpft. Gebaut wird auf ihnen nicht, aber sie ziehen seit Jahren Hobby-Schatzsucher an, die dort Reliquien aus dem alten Königsberg zu finden hoffen.
Einem von ihnen bescherte das Schicksal neulich das Glück, eine fast unbeschädigte Tasse aus dem Weinlokal „Blutgericht“, das sich seinerzeit im Keller des Königlichen Schlosses befunden hatte, auszugraben. Geschirr aus dem „Blutgericht“ wird äußerst selten gefunden. Selbst eine Scherbe gilt schon als außergewöhnliches Glück. Das Auffinden eines gänzlich unversehrten Gegenstands grenzt an ein Wunder. Der Finder der Tasse erzählt: „Einen Gegenstand mit dem Aufdruck dieses Restaurants auszugraben ist natürlich ein großes Glück. Ich habe eine zwei mal zwei Meter große Grube ausheben müssen, um diese Rarität zu finden. Trotz ihres sicherlich sehr hohen Wertes will ich die Tasse aber nicht verkaufen, ich behalte sie lieber in meiner persönlichen Sammlung.“
Zur Information: Das Blutgericht war ein historisches Weinrestaurant, das in den Kellergewölben des Nordflügels vom Königsberger Schloss untergebracht war. Der Hintergrund der Namensgebung ist unbekannt, er bezieht sich vermutlich auf die mittelalterliche Blutgerichtsbarkeit der Landesherren von Preußen. Das Weinlokal im Schloss wurde 1738 vom Salzburger Exulanten David Schindelmeißer gegründet. Das gesamte Lokal war in den breitspannenden Tonnengewölben eingerichtet. Die grottenartigen Räume des unterirdischen Katakombenlabyrinths hatten Namen, die an Folterkammern des Mittelalters erinnerten: Marterkammer, Peinkammer, Diebesgefängnis, Pfefferstub, große Glocke oder Spanische Nadel usw. Zum unverwechselbaren Charme der Weinschenke gehörten neben der kühlen Feuchte der Kelleratmosphäre auch das grobe hölzerne Mobiliar wie auch das passende Interieur von radartigen, schmiedeeisernen Wandleuchtern und großen kunstvoll geschnitzten Prunkfässern im Hintergrund sowie die Modelle von alten Hansekoggen an der Decke. Die „Krupsch“ war die Kleidung der Kellner, die die Gäste stilecht, wie Küfer eines Weinkellers in blauen Kitteln mit vorgebundenen Lederschürzen bedienten. (Quelle: Webseite von Wikipedia, www.ostwestpreussen.de). Auf der Weinkarte standen Sorten wie Burgunder, Bordeaux, Rheinwein etc. zur Auswahl. Am meisten wurde jedoch dem „Blutgericht Nr. 7“ zugesprochen – einem schweren und blutroten Wein heimischer Produktion. Das Weinrestaurant hörte in dem für Königsberg schlimmen Jahr 1945 auf zu bestehen. 1969 wurden die Kellergewölbe des Blutgerichts zusammen mit den Resten des Schlosses abgetragen.
Alexander Kateruscha