Franz Todtenhöfers (1875-1955) früheres Werkstattgelände im Jahre 2015. Abb: Pekrul, Quelle: Googlemaps

Königsberger Wanderung

Unser deutscher Autor Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner vierundzwanzigsten Wanderung begleiten.

AUF DEM FAHRRAD

Teil 24 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1-10/2022

Unmittelbar hinter dem früheren Raiffeisenhaus (KE-10/2022) fällt ein Altbau auf, der am Abzweig zur Mozartstraße (ul. Repina) steht. Vier halbrunde Fenster, von denen drei zur Stresemannstraße (Sowjetsky Prospekt) zeigen, und die beiden Obergeschosse deuten einen klassizistischen Stil an. Hier befand sich früher ein Papier-, Kurz- und Weißwarengeschäft, sowie im anschließenden Flachbau eine kleine Werkstatt. Doch die Nutzbarkeit ist multifunktional. In neuerer Zeit war hier eine Bankfiliale untergebracht (die inzwischen geschlossen ist). Der Bereich im Flachbau ist heute ein Restaurant.  Auch das nächste Haus, ein Flachbau im sachlichen Stil an der Ecke zur Brahmsstraße (ul. Bramsa), wurde als Werkstatt genutzt. Es zeichnet sich bereits ab, dass hier einige Betriebe aus dieser Sparte angesiedelt waren.

Auf dem weiteren Wege stadtauswärts begegnen wir noch einem sehr schön renovierten Wohnhaus aus der Zeit um 1930. Es befindet sich zwischen den Abzweigen zur Krause- und Simsonstraße (ul. Moskwina/ ul. Lejtenanta Janalowa). Die Kolonialwarenhandlung im Parterre war um 1930 der kurze Weg zu Köstlichkeiten aller Art für die neu entstandenen Wohngebiete in diesem Bereich der Stadt. Und die Attraktivität ist eher noch gestiegen: das heutige Lebensmittelgeschäft mit Öffnungszeiten bis in die späten Stunden ist eine lokale Oase für Nachtschwärmer. Zur Orientierung: wir sind nun auf der Höhe des früheren Elektrizitätswerks (KE- 12/2021).

Weiter nach Norden, gibt eine gut erhaltene Häuserzeile einen Eindruck von der früheren Bebauung, die hier am Stadtrand einfacher wird. Doch auch in der Einfachheit liegt Schönheit, wie das darauffolgende Gebäude an der Ecke zur Sophienstraße (ul. Kurganskaja) zeigt. Es ist ein Wohnhaus mit geschmackvoll umrahmten Fenstern aus der Zeit um 1930. Eine Erbengemeinschaft aus Preußisch Eylau, die Familie Rößler, hatte diese Wohnungen an eine Schneiderin, einen Kaufmann und einen Landwirt vermietet – ehrbarer Königsberger Mittelstand.

Und schließlich erreichen wir an der früheren Stresemannstr. Nr. 87 ein Betriebsgelände, das zuletzt von der Klöckner-Humboldt Deutz AG genutzt wurde. Diese Firma war nur kurzfristig darin, denn hier standen, wie es in großen Lettern über dem Eingangstor prangte: „Todtenhöfer’s Vereinigte Automobil- Werkstätten“.

Und damit wollen wir einem Pionier unsere Ehre erweisen. Hören wir seine Geschichte in einer Skizze: Franz Todtenhöfer wird am 13. August 1875 in Königsberg geboren. Er interessiert sich schon früh und mit Begeisterung für Fahrräder und diese neuen Fahrzeuge, genannt Automobile. Mit 18 Jahren erreicht er eine ostpreußische Meisterschaft im Radfahren, und bereits zwei Jahre später eröffnet er eine Fahrradhandlung in der Junkerstraße.

1901 wird die Firma „Todtenhöfer & Co.“ mit dem Verkauf von Fahrrädern und Nähmaschinen gegründet. Er bekommt die Produkte von den Bielefelder Dürkopp-Werken, damals der ersten Adresse in Deutschland dafür. Bald kommen eigene Fahrradmarken hinzu, wie das „Polo“. Todtenhöfer weitet sein Geschäft aus. Ab 1912 verkauft er Automobile von Fiat, Mercedes und Opel; für letztere wird er sogar Generalvertreter in Ost- und Westpreußen, Danzig und dem gesamten Baltikum. Im Radsport bleibt er erfolgreich. 1906 eröffnet er eine neue Firmenzentrale auf dem Steindamm Nr. 143. Todtenhöfer ist inzwischen als Branchenkenner geachtet. Doch er hat noch mehr zu geben. Die Grundstücke Steindamm Nr. 142, Strohmarkt 11 und Nikolaistr. 16 werden hinzugekauft.

1921 entstehen die „Automobil und Landpflug GmbH“ und ebenhier, an der Stresemannstraße, die Werkstätten. Im gleichen Jahr gründet er in Königsberg den „Verein für Fahrradwege“. Einer dieser historischen Fahrradwege hat sich erhalten; er befindet sich an der nahen Hagenstraße/Simsonstraße (ul. Karla Marxa). 

Todtenhöfer führt eigene Marken für Nähmaschinen ein: „Todtenhöfer Ideal“ und „Titan“ ziehen in die Königsberger Haushalte und die Textilwirtschaft ein. Kurze Zeit später folgt die Schreibmaschine „Orga Privat“. Für alles bietet er ein reiches Sortiment an: ob in Lizenz, oder in Eigenproduktion. 1927 entsteht am Heumarkt eines der ersten Parkhäuser in Deutschland. Auf drei Etagen können 350 KFZ parken – eine Sensation! Ab 1929 werden Fahrräder der Marke „Masovia“ und „Baltia“ produziert. Sie werden, wie bereits das „Polo“ ein Haushaltsname in Königsberg. Schließlich kommt noch ein Fahrrad mit einem Hilfsmotor hinzu, den man auch für Segelflugzeuge verwenden kann. Todtenhöfer’s Kreativität scheint keine Grenzen zu kennen. Wann immer eine Neuerscheinung im Schaufenster am Steindamm gezeigt wird, bekommt die Putzfrau viel zu tun: die Lorbaßchens jeden Alters drücken sich an den Scheiben ihre Nasen platt vor Aufregung und Schaulust. Aus den Jahren der Diktatur ist überliefert, dass Todtenhöfer sich manche Feinde machte bei der Abwehr übergriffiger Maßnahmen auf seine Firma. Wie überliefert, war er Mitglied in einer Freimaurerloge und auch durch eine Heirat im Sinne der Zeit „belastet“. Am Ende ging sein Geschäft mit der Stadt unter, doch er selbst hielt sich aufrecht. 

In Berlin, mit 70 Jahren, baute er sich eine neue Existenz im Fahrradhandel auf.  Als er am 22. März 1955 starb, würdigte ihn der Nachruf als einen Mann, der als Arbeitgeber viel verlangte, aber auch zu fördern verstand. Er tat viel Gutes, verbat sich aber jede Öffentlichkeit darüber. Ein großes Königsberger Leben, das uns Heutigen ein zeitloser Ansporn bleibt. Das Firmengelände der „Vereinigten Werkstätten“ wurde noch bis 2015 genutzt. Dann musste es einem Wohnhochhaus weichen. Inmitten hat sich eines der damaligen Nachbarhäuser erhalten und gibt einen eindrucksvollen Kontrast. Und als sollte es so sein: im heutigen Kaliningrad befindet sich hier einer der größten Fahrradläden der Stadt. Wir erreichen nun den Kreisverkehr am nördlichen Ende dieser Ausfallstraße.

Jörn Pekrul