Der Hansaplatz in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Eingang zur Deutschen Ostmesse ist auf dem Bild links zu sehen. Bildarchiv Ostpreußen

Königsberger Wanderung

Unser deutscher Autor Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner zweiundzwanzigsten Wanderung, Teil 1, begleiten.

Teil 22-1  der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1-7/2022

In den Nächten um Johanni, wenn die Nächte kurz sind, zeigt sich der Hansaplatz (Ploschad Pobedy) am Morgen wie ein Idyll. Die Straßen sind nahezu leer, und nur ein paar Früharbeiter säumen die Bürgersteige. Der interessierte Stadtwanderer kann die Gebäude ganz ohne Ablenkung auf sich wirken lassen. Hier zeigt sich: Kaliningrad ist eine Großstadt, denn wir sind im heutigen Zentrum.

Beginnen wir mit dem Gebäude, das sich direkt dem Einkaufszentrum mit dem reizenden Café anschließt, das uns in der letzten Folge die superben Trüffel offeriert hat. Es wurde von Hanns Hopp entworfen (siehe auch die Ostpreußische Mädchengewerbeschule in KE 11/2020) und 1923 als „Handelshof“ gebaut. Ein Haus, das Ausstellungsflächen und Büroräume anbot. Königsberg und Ostpreußen waren vom Rest des Landes abgetrennt und man versuchte, das wirtschaftliche Überleben mit einer Intensivierung der Handelsbeziehungen nach Mittel- und Osteuropa zu sichern.

Der Handelshof hatte fünf Geschosse und zum Hansaplatz hin im Dach ein sechstes. Im Innenhof gab es einen Ausstellungssaal mit Glasdach. Im 1. OG waren weitere Ausstellungsräume, dazu Büros. Das Haus wurde als erstes in Königsberg mit einem Stahlbetonskelett gebaut, was eine variable Aufteilung der Räume ermöglichte.

In Ergänzung dazu befand sich direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, der Eingang zur „Deutsche Ostmesse Königsberg – DOK“. Sie wurde bereits 1920 in vorhandenen Gebäuden im Tiergarten gegründet. 1924 folgten die eigens gebauten Messehallen am alten Wallring.

Der Eingang zum Messegelände war bewusst mit einem niedrigen, schlichten Eingangstor versehen worden: blickte man beim Betreten zurück, ergaben dieser Eingang und der mächtige Handelshof im Hintergrund eine visuell wirkungsvolle Kombination.

Die DOK wurde ein Erfolgsmodell ohnegleichen. Wurden zuerst landwirtschaftliche Produkte sowie Eisen-, Holz- und Brennstoffgüter gehandelt, kamen bald auch Verbrauchs- und Industrieprodukte hinzu. 1925 wurde am östlichen Ende des Messegeländes das heute noch bestehende „Haus der Technik“ gebaut, was eine kluge Entscheidung war. 1930 hatte die Besucherzahl bereits die Marke von 120.000 überschritten, davon 2.500 Besucher aus dem Ausland. 1937 waren es 204.000 Besucher. Die DOK hatte sich nach Leipzig zur zweitgrößten Messe in Deutschland entwickelt. Man kann auch heute nur den Hut ziehen vor dieser Leistung der Königsberger und der Ostpreußen, in einer Zeit äußerster Bedrängung nicht aufgegeben, sondern mit Anstrengung auf Besserung und Erhalt der Selbstständigkeit hingearbeitet zu haben. Dies wurde erst durch den Krieg zunichte gemacht; und die letzte Messe fand 1941 statt. Der Handelshof wurde bereits 1927 durch die Messeanlagen entlastet. Die Stadt übernahm viele der Büroräume und legte ihre Verwaltung, die bis dato auf verschiedene Gebäude in Königsberg verteilt war, hier zusammen. Seit dieser Zeit kannte man das Gebäude unter dem Begriff „Stadthaus“. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Stadthaus wurde zwar durch den Krieg sehr in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht zerstört. Beim Wiederaufbau wurde das Dach heruntergezogen, die Fassade glatt geputzt (womit einige attraktive Ziegelhervorhebungen verschwanden) und die Fenster an den Seiten zugemauert. Der Innenhof ist heute nicht mehr überdacht.

Zum Hansaplatz kragt am Eingang ein mächtiges Vordach heraus. Die Gebäude der Ostmesse stehen bis auf das Messerestaurant in Höhe des Wallrings / Tragheimer Kirchenstraße (ul. Professora Baranowa / ul. Podpolkownika Iwannikowa) nicht mehr; der Hansaplatz ist dadurch größer geworden. Doch der heute sehr weite Platz findet seit 2006 eine dominante Ergänzung durch die russisch-orthodoxe Christus-Erlöser-Kathedrale. Sie ist 73 m hoch und damit der höchste Kirchenbau in der Kaliningrader Oblast. Ein Referendum der Einwohner befürwortete 1995 den Bau an dieser Stelle, worauf am 23. Juni 1996 die Grundsteinlegung folgte. Die Kathedrale ist ein typisches Bauwerk im russisch-byzantinischen Stil. Ein Oktogon mit bogenförmigen Eingangsportalen und vier Zwiebeltürmen in exakter Symmetrie. Buntglasscheiben geben eindrucksvolle Lichteffekte. In der Kirche haben etwa 3.000 Menschen Platz. Es gibt die obere Hauptkirche zu Ehren der Auferstehung Jesu Christi, die 2006 eingeweiht wurde.

Die untere Kirche besteht aus einem Betraum, welcher zu Ehren des „Nicht von Menschenhand geschaffenen Christusbildes“ im Jahre 2007 eingeweiht wurde. Die untere Kirche hat einen Bezug zu Ostpreußen – sie dient zum Gedenken der russischen Soldaten, die im Siebenjährigen Kriege, in den Befreiungskriegen, und in den Weltkriegen I und II in Ostpreußen gefallen sind. Es ist eine vollständig russische Kirche, doch Trauer um Menschen, die in Kriegen ums Leben gekommen sind, ist universell. Soldaten sind im Regelfalle auch Familienväter, Freunde, Brüder. Sie sind Handwerker, Künstler, Dichter – je nach Profession. Und die wenigsten haben die Möglichkeit, in einem Krieg über ihr Schicksal oder das ihrer Familien selbst zu bestimmen. Und so nimmt diese Kirche auch den nicht-russischen Besucher in Ehrfurcht und Stille gefangen, weil er an die Seinen denkt, denen es in den Kriegen der Zeit ebenso erging.

Neben der Kathedrale gibt es ein kleines Geschäft, in dem ikonographische Darstellungen auch für den kleinen Geldbeutel zu erwerben sind. Die Verkäuferinnen sind sehr freundlich und hilfsbereit – selbst ein Auferstehungsmotiv, das im oberen Bereich des Ladenlokals drapiert war, wurde mittels einer Leiter und einem Stock geschickt für den Kunden heruntergeangelt. Das ikonische Bild – die christlichen Geschichten sprechen die Menschen in Ost und West an – hat nun einen Ehrenplatz in einer deutschen Wohnung.        

Jörn Pekrul