Fröhliche und ausgelassene Stimmung im Studio des Reichssenders Königsberg. Quelle: Wikimedia – Bundesarchiv

Musik in der Luft

Seit den 1990er Jahren haben viele Menschen unsere Stadt besucht. Einer davon, Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner zwanzigsten Wanderung begleiten.

Teil 20 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1-5/2022

Der Hansaring wirkt durch seine geschlossene Bauweise wie der Saal eines Museums. Verschiedene Baustile und dazwischen eine parkähnliche Anlage mit alten Bäumen, die großstädtisches Flair verströmt. Das war nicht immer so. 1912 befand sich dieses Areal in sehr unbestimmten Grenzen.

1913 begann der Bau des Amts- und Landesgerichts, das (im Gegensatz zum neoklassizistischen Stil der benachbarten Oberpostdirektion von 1916 (siehe KE Nr. 5/2022) eine neobarocke Fassade erhielt. Der Eingang verzeichnet zwei Säulen mit einem schwungvollen Giebel, der widerum ein Medaillon hält. Eine prächtige Balustrade mit Vasen und einer Kartusche schmückt das Dach, in dem alle paar Meter ein oeil-de-boeuf zu sehen ist; ein „Ochsenauge“. Die ostpreußische wie die russische Hausfrau werden eher die zweite Bedeutung dieses Namens kennen, die angenehm bodenständig ist: ein „oeil-de-boeuf“ ist ein gutes, hausgemachtes Spiegelei. In der Architektur ist es der Name für ein Rundfenster im Rokoko oder dem Barock, der hier den Gesamteindruck eines „Justizpalastes“ verstärkt. Genial war damals die Raumaufteilung: die Büros zur lichtreichen Südseite gerichtet, während der Flur im Norden an drei Innenhöfe grenzt, die für frische Luft und auch für Licht sorgen. An der Ostseite ist 1931 eine Erweiterung im Stil der Neuen Sachlichkeit hinzugekommen. Auf Fassadenschmuck wurde verzichtet; lediglich zum Hansaplatz besteht ein Eingang mit Säulen. Ein Detail fällt jedoch auf: Die Gebäudeecke ist abgerundet, was man an der Ecke zum Hansaring gut sehen kann.

Die vor dem Amts- und Landesgericht stehenden Wisente von August Gaul (1913) konnten wir schon zu Beginn unserer Wanderung bewundern (KE Nr. 11/2020). „Staatsanwaltschaft und Verteidigung, wie sie um das Recht ringen“ – so seinerzeit der Volksmund. Die Königsberger Dichterin Charlotte Wüstendörfer ergänzte diesen Spruch durch eine Betrachtung, die sie am 20. September 1923 beim Anblick dieser Gerichtstiere notierte: „Und so wird zu jeder Frist / Uns vor’s Aug‘ geführt / Deutlich, dass ein Rindvieh ist / Wer da prozessiert“. Eine heitere und offenkundig lebenskluge Bemerkung, mit der aber nichts gegen die Jurisprudenz gesagt sein soll.

Auch das gegenüberliegende Gebäude hält einige humoristische Details bereit, die aber nur am Rande erwähnt sein sollen. Wir stehen vor dem Rundfunkgebäude. Die 1924 gegründete „Ostmarken Rundfunk AG“, die 1927 zwei ca. 80 meter hohe Antennen in Königsberg-Amalienau bekam, entwickelte das neue Medium mit Nachrichten und bunten Programmen für die Bevölkerung Ostpreußens. Aufgrund der wirtschaftlichen Not in der Zwischenkriegszeit gelangte der Sender 1929 in städtischen und 1932 in staatlichen Besitz. Ab 1934 firmierte er als „Reichssender Königsberg“. Das Medium wurde natürlich für propagandistische Zwecke genutzt, doch gab es daneben auch ein kulturelles Programm auf sehr hohem Niveau. Die vielen Ostpreußen noch bekannte Ruth Geede (1916-2018) arbeitete als junge Frau hier und konnte sich lebhaft erinnern, wie das neue Medium die Grenzen eines Konzertsaales aufhob und klassische Musik in die Wohnungen der Stadt- und Landbevölkerung trug, so z.B. die „Kurische Suite“ oder die „Ostpreußischen Tänze“ von Otto Besch. In der leichteren Muse war das „Spatzenkonzert“ von Erich Börschel bekannt, dessen Kehrreim „Heut‘ ist Spatzenkonzert / die Polizei den Saal schon sperrt / …. / Piep, piep, piep / ich hab‘ dich ja so lieb“ 1938 das meistgespielte Stück deutscher Tanzmusik wurde. In mundartlichen Programmen war Marion Lindt die „Dienstmarjell von de alte Sort“, die ihrer Herrschaft die Meinung sagte, während Paul Schuch als „de olle Schimkat“ täglich seine Ansichten zum besten gab. Ferdi Dackweiler sang sich mit seinem Programm „Kurzweil am Nachmittag“ in die Herzen der Zuschauer. „Tücki und Peter im Kino“ informierten über das aktuelle Filmgeschehen, und ein „Kunterbunter Funk-Teller“ arbeitete mit lockerer Stimme Alltäglichkeiten auf. Das ganze Rundfunkgeschehen war im Vergleich zu heute sehr unkompliziert – eingearbeitete und aufeinander eingespielte Fachleute brauchten nur kurze Proben. Und wenn eine Textkopie unleserlich war und ein sehr junger Sprecher ein englisches „Bacon-Schwein“ als „Balkonschwein“ über den Äther trug, musste sich die Belegschaft das Lachen verkneifen, um es nicht auch noch über die Radiowellen ins Land zu senden.

Gelacht wurde auch bei den Sendungen eines Unterhalters, der vielen deutschen Lesern heute noch ein Begriff ist: Heinz Erhardt aus Riga (1909-1979). Im Reichssender Königsberg und auch in Danzig trug er eigene Programme vor. Im deutschen Nachkriegskino blieb er ein unvergessener Publikumsliebling und definierte das Alltagsleben mit Bonmots wie diesem: „Es dürfte keine Steuern geben / Kein Zahnweh, keine Schützengräben / Dann wäre auf dieser Welt das Leben / vielleicht noch schöner als wie eben.“ Er wurde 2009 von der Deutschen Post mit einer Briefmarke geehrt.

Eine zeitgenössische Aufnahme des Rundfunkgebäudes sahen wir bereits im Vorbeigehen (Teil 17 in KE Nr. 3/2022), und wir hörten auch schon u.a. von dem Bariton Hans Eggert (1895-1945), siehe auch Teil 1 in KE Nr. 11/2020, der 1944 mit seiner Familie nach Torgau evakuiert wurde und für ein Weihnachtskonzert in die bedrängte Stadt zurückkehrte, in der er schließlich starb. Ihn wollen wir mit dieser dankbaren Erinnerung ehren wie auch viele andere Frauen und Männer, die beim Reichssender Königsberg den Menschen Kultur, Erhebung und Kraft, oder auch nur Unterhaltung, über die Radiowellen vermittelt haben. Auch im Konsum der Medien lässt sich damals wie heute der alte Satz des Königsbergers Immanuel Kant anwenden: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“.

Ein Höhepunkt des Deutschen Bauhauses bildet den heutigen Abschluss. Es ist das Preußische Staatsarchiv von 1930, das der Tilsiter Robert Liebenthal (1884-1961) geschaffen hat. Die Archivräume nach Norden haben eine große Fassade aus Glas, die das Licht gleichmäßig verteilt. Die Spannung der Architektur spricht für sich selbst, ansonsten fehlt jeglicher Schmuck. Es handelt sich um eine architektonische Kostbarkeit ersten Ranges, und es ist den russischen Architekten sehr zu danken, dass sie in den 1950er Jahren diese Aufteilung unter den damaligen schwierigen Bedingungen und fehlenden Originalunterlagen erhalten haben.         

Jörn Pekrul