Das neue Schauspielhaus/Dramentheater
Seit den 1990er Jahren haben viele Menschen unsere Stadt besucht. Einer davon, Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner neunzehnten Wanderung begleiten.
Teil 19 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1-4/2022
Den gemeinsamen Gesang im Tierpark wollen wir mit einem deutschen Sprichwort nachhallen lassen: „Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder“. Es stammt, leicht abgewandelt, aus dem 1804 erschienenen Gedicht „Die Gesänge“ des kursächsischen Schriftstellers und Dichters Johann Gottfried Seume (1763-1810). In den Jahren 1805 und 1806 bereis-te er Russland, Finnland und Schweden. Zuvor hatte er bereits Syrakus an der Ostküste Siziliens besucht. Seine Reiseberichte zeichneten sich durch einen unsentimentalen Blick auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten aus, in denen er die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bewusst erfasste. So wurde er zu einem kulturhistorischen Schriftsteller. Da er in jungen Jahren zwangsweise als Soldat in Nordamerika und in Deutschland zu dienen hatte, entwickelte er in beider Kombination Ideen zu Freiheitsrechten einzelner Menschen und ganzer Völker. Vor dieser Biographie darf das eingangs erwähnte Zitat als „geprüft“ aufgenommen werden, was sich auch in der letzten Folge im spontanen russisch-deutschen Chor des Kaliningrader Zoos bestätigt hat. Und für die heutige Zeit lässt das Gedicht ein Fazit zu: Die Menschen sollten öfters miteinander singen!
Auf dem weiteren Wege wählen wir nicht die Hufenallee (Prospekt Mira), sondern die kleine, parallel verlaufende Gluckstraße (uliza Grekova). Hier steht an der Straßenecke zur „Vogelweide“ (uliza Nosova) u.a. noch ein Wohnhaus, dessen Baustil die 1920er Jahre verrät.
Es war der Mittelstand, der hier sein Zuhause hatte. Eine Bäckerei und eine Schlosserei waren in der Nähe und bildeten einen Teil der Nahversorgung. Die heutige Bebauung verzeichnet viele Grünflächen, die in östlicher Richtung zum Hansaring übergehen.
Als Höhepunkt darf das Kaliningrader Dramentheater mit seinem dem Bolschoi nachempfundenen Baustil gelten. Wir sind ihm schon kurz zu Beginn unseres Wanderweges begegnet. (KE Nr. 11/2020). Heute wollen wir an den Vorgängerbau erinnern. Er wurde 1912 von dem Berliner Architekten Otto Walter Kuckuck gebaut, der z.B. auch in Rauschen die evangelische Kirche und das Warmbad mit Wasserturm entworfen hat oder hier das Gesellschaftshaus im Tierpark.
Auf diesem Platz entstand sein „Neues Luisentheater“, das Opern, Operetten und Schauspiele aufführte. Dieser leichten Muse entsprechend wurde das Haus ab 1923 zur „Komischen Oper“. Vielleicht lag es am Programm, vielleicht lag es auch daran, das Königsberg das ausschließlich Leichte nicht für ausreichend hielt – der Betrieb rentierte sich nicht. Es folgte 1924 eine Zusammenlegung mit dem Stadttheater Königsberg (welches am Paradeplatz lag) zum „Ostpreußischen Landestheater“.
1927 erfolgte durch den Berliner Theaterarchitekten Oskar Kaufmann ein Umbau auf 980 Sitzplätze. Im Zuge dessen wurde auch die äußere Gestalt verändert. Die Veränderungen hatten beiden Häusern gut getan. Das Ensemble des Stadttheaters wirkte nun auch hier in dem Gebäude am Hansaring, und das Neue Schauspielhaus entwickelte sich zu einer der renommiertesten Spielstätten in ganz Deutschland.
Gewürdigt sei bei dieser Umstellung auch der jüdische Kaufmann Felix Japha (1875-1942). Er war seit 1902 ein Mitinhaber der 1812 gegründeten Seifenfabrik von L. Gramm, die ihren Sitz auf dem Steindamm hatte. Herr Japha war gleichzeitig Stadtverordneter in Königsberg und vergab große Teile seines Vermögens für die Förderung der Stadt, was insbesondere in den Jahren der Insellage Ostpreußens nach dem Ersten Weltkrieg sehr bedeutsam war. Unter anderem trug er zur Finanzierung dieses Neuen Schauspielhauses bei wie auch zum Unterhalt der Stadthalle am Schlossteich. Die Stadt dankte es ihm, die neuen Machthaber ab 1933 sollten es jedoch ignorieren. Zuerst durfte er noch in seiner Villa in der Körteallee 10 wohnen bleiben, obwohl er die Repressalien und die sich steigernden Gefahren natürlich begriff. 1942 schied er mit seiner Frau aus dem Leben.
Das Neue Schauspielhaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen und von dem russischen Architekten P.W. Kuchtenkow in seiner heutigen Form wiedererrichtet. Am 22. April 1960 erfolgte die Neueröffnung.
Ein Blick auf den Hansaring erstaunt: Er ist langgestreckt und wird von einer geschlossenen Bebauung umgeben. Hohe, alte Bäume und Grünflächen bilden einen großstädtischen Park. Und obwohl die Häuser alle im frühen 20. Jahrhundert entstanden sind, weist jedes Gebäude einen unterschiedlichen Baustil auf. Beginnen wir mit dem Gebäude an der nördlichen Seite gegenüber. Ein klassischer Giebel mit sechs Säulen im ionischen Stil, dazu ein schwerer Sockel und die Fenster der beiden Hauptgeschosse schmucklos zusammengefasst. Darüber kleinere Fenster. Man sieht: Hier wurde der Klassizismus des frühen 19. Jahrhunderts wieder aufgenommen. Das Gebäude wurde 1916 errichtet und beherbergte die Oberpostdirektion von Königsberg. Bei Kriegsende brannte das Haus vollkommen aus, und die rechte Hälfte des Giebels war eingestürzt. Es wurde jedoch sehr authentisch wiederhergestellt und wird heute durch den Stab der Baltischen Flotte genutzt.
In der Frühlingsluft liegt ein leichter, betörender Duft, der innehalten lässt. Er scheint aus einer weißen Wolke zu kommen, die sich bei näherem Hinsehen als ein alter Magnolienbaum offenbart. Er steht vor dem Dramentheater und scheint fast zu bersten vor Lebenskraft und Lebenswille.
Einige Passanten heben die Arme, und bevor man sich darob verwundert, macht man es gleich nach: Die Blüten der Magnolien sind eine wunderbare Einladung für jeden Fotoapparat. Man nimmt aufeinander Rücksicht, so dass in dieser zufällig entstandenen Gruppe jede und jeder das Bild machen kann, das am besten gefällt. Wir schließen uns an und wollen mit diesen beiden Fotos diesen Baum würdigen, der – wie das Lied – so gut die Menschen zu verbinden weiß. Es ist eine willkommene Unterbrechung auf unserem Wege, bevor wir uns die bauliche Vielfalt auf dem Hansaring näher erschließen wollen.
Jörn Pekrul