Von Hippel zum Konsulat
Seit den 1990er Jahren haben viele Menschen unsere Stadt besucht. Einer davon, Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner sechzehnten Wanderung begleiten.
Teil 16 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020, 1-12/2021 und 1/2022
Die Hufenallee, auf der wir uns gerade befinden (Prospekt Mira), ist noch nicht sehr alt. Dieser westliche Vorort wurde zwar schon um 1300 als „Huben“ erwähnt, doch es sollte noch bis 1786 dauern, dass Theodor Gottlieb von Hippel der Ältere (1741-1796) einen Bohlenweg anlegen ließ.
Zu dieser Zeit besaßen manche Königsberger hier bereits ein Sommerhaus, und die Bohlen machten den Weg auch bei Regenwetter passierbar. Sie wurden von einem extra dafür gegründeten „Bohlenweg-Verein“ der Villenbesitzer unterhalten, begannen aber mit der Zeit zu verrotten, und so entstand 1829 eine „Kunststraße“ bis in den Vorort Lawsken hinein. In den Gärten der „Sommerfrischler“ wurden die ersten Ausflugsrestaurants eingerichtet, und der Königsberger Westen avancierte zum Ausflugsort der Städter.
Mit Theodor von Hippel lernen wir übrigens eine weitere interessante Persönlichkeit aus der Geschichte Königsbergs kennen. Aus einer pietistischen Familie in Gerdauen kommend (sein Vater war Lehrer an einer Dorfschule) begann er mit 15 Jahren ein Theologiestudium und hörte später Philosophie bei Immanuel Kant, mit dem er sich auch anfreundete. Zur gleichen Zeit schloss er ein Jurastudium ab und wirkte, fast nebenbei, auch als Autor. Er verfasste, teils anonym, pietistische und philosophisch-lehrhafte Texte, aber auch Heiteres, wie Satiren über den Landadel, oder geistreiche und witzige Traktate über die Rechte der Frauen – obwohl er unverheiratet blieb. Doch diese Texte hatten eine ernste Absicht: Hippel gilt als ein früher Wegbereiter der Frauenrechte in Europa, und zwei Bücher von ihm – von 1792 und 1793 – gelten als klassische Texte der Bewegung (siehe das Titelbild zu seinem Werk „Über die Ehe“, geschaffen vom Danziger Daniel Chodowiecki, einem der populärsten deutschen Grafiker seiner Zeit). 1771 war von Hippel bereits Assessor am Königsberger Hofgericht, nach 1773 auch noch Direktor des Kriminalgerichts und gewähltes Mitglied im Stadtrat. 1780 erreichte er den Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn. Er wurde „dirigierender“ Bürgermeister von Königsberg – eine Bezeichnung, die ungewohnt ist und deshalb etwas näher betrachtet werden soll.
Die früher selbstständigen Städte Altstadt, Kneiphof und Löbenicht wurden durch einen Magistrat vertreten, zu dessen Leitung sie mehrere Bürgermeister auswählten. Der Vorsitzende dieser Gruppe war der „dirigierende“ Bürgermeister. Als die drei Städte 1724 zusammengelegt wurden, behielt man das Modell bei – mit dem Unterschied, dass der „Dirigent“ nun für die gesamte Stadt zuständig war. Daneben gab es einen zweiten und einen dritten Bürgermeister. Nach einer Reform wurde die Stadt Königsberg ab 1809 von einem Oberbürgermeister regiert, der von einem weiteren Bürgermeister unterstützt wurde. Diese Struktur bestand bis zum 9. April 1945. Lediglich in den Jahren 1758 bis 1762, im Siebenjährigen Krieg, gab es eine Ausnahme – denn in jener Zeit wurde Königsberg vom Oberkommandanten der damaligen russischen Verwaltung regiert.
Theodor von Hippel trug ab 1780 auch die Verantwortung als Polizeidirektor von Königsberg. Er ordnete das Verwaltungssystem neu (in dem sich Korruption eingeschlichen hatte) und modernisierte das Armenwesen und die Strukturen der Polizei im Sinne der Aufklärung. Hippel verstand sich als Christ, hatte aber – wie sein Freund Kant es ausdrückte – den Mut behalten, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die kirchlichen Dogmen betrachtete er mit der Skepsis der Aufklärung, teilte aber Kants rationalistischen Ansatz nicht.
Hippel sah den Menschen als Einheit von Vernunft, Gefühl, Innerlichkeit und Glaube. 1794 wurde er mit der Einführung der preußischen Verwaltung in Danzig beauftragt, doch eine Krankheit führte 1796 zu seinem frühen Tod. Er war ein viel beschäftigter und bekannter Mann, dessen Ruhm sich bis in unsere Tage erhalten hat. Aber er blieb, wie erwähnt, unverheiratet und damit allein.
Der Neffe Theodor Gottlieb von Hippel der Jüngere (1775-1843), sein Erbe und Nachlassverwalter, gab 1835 sämtliche Werke „des Älteren“ heraus. Dessen letzte Ruhestätte war der Alte Steindammer Friedhof, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeebnet wurde. Vorher jedoch, im November 1926, erfolgte die Umbettung Theodor von Hippels und des Philosophen Karl Rosenkranz auf den Gelehrtenfriedhof in der Nähe der Sternwarte. Der Gelehrtenfriedhof wurde bei Kriegsende zerstört. Eine einmalige Stätte ging damit für immer verloren. Doch gibt es inzwischen eine Gedenksäule, die am 12. Juli 2014 im Beisein von Wissenschaftlern und Vertretern der Stadt Kaliningrad enthüllt wurde.
Ein interessantes Gebäude führt uns in die Gegenwart zurück. Es handelt sich um ein Wohn- und Geschäftshaus, das nach dem Krieg im obersten Geschoss zusätzlich einen markanten Säulengang bekam. Im Erdgeschoss ragt das Gebäude mit einem modernen Anbau nach Westen aus und beherbergt eine Restauration. In diesem Gebäude befand sich das alte sowjetische Konsulat von 1939. Hier macht die Hufenallee eine zweifache Kurve und führt sogar über eine Niederung, in der ein kleiner Bach, der Hufen-Freigaben, in Richtung Pregel fließt (auch wenn er bis dahin noch Luisenwahl und die Kosse zu passieren hat).
Das nächste prominente Gebäude grüßt schon herüber. Es ist das Hufen-Gymnasium von 1915, ein bis heute beeindruckendes Gebäude im Stil der Neo-Klassik. Die Unterrichtsräume liegen an der Westseite, und die Gänge führen zu Pausenhallen, die direkt mit dem großen Treppenhaus verbunden sind. Seine landschaftlich reizvolle Lage sollte 1915 an einen „stillen Platz des alten Königsberg“ erinnern, und so ist es heute noch.
Einer der prominentesten Lehrer des Gymnasiums war Ernst Wiechert, dem ein Gedenkstein in deutscher und russischer Sprache gewidmet ist. Auf dem Gedenkstein steht: „Dichter Ernst Wiechert 18. Mai 1887 – 24. August 1950 Lehrer am Hufen-Gymnasium (1911-1930). Noch tönt mein Lied.“ Wir wollen in der nächsten Ausgabe von diesem Liede hören.
Jörn Pekrul