Die sogenannte Kosmonautenwand an der Ecke Prospekt Mira / Kosmonawta-Leonowa-Straße. Foto: Jörn Pekrul

Zu den Sternen

Seit den 1990er Jahren haben viele Menschen unsere Stadt besucht. Einer davon, Jörn Pekrul aus Deutschland, entdeckt auf seinen Wanderungen durch Kaliningrad Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollen ihn nun auf seiner fünfzehnten Wanderung begleiten.

Teil 15 der „Königsberger Wanderung“. Fortsetzung aus KE Nr. 11-12/2020 und 1-12/2021

Zum Neujahr wünschen wir uns einander alles Gute und vor allem Gesundheit. Mögen uns noch viele gemeinsame Wege unserer großen „Königsberger Wanderung“ beschieden sein. Zu Beginn sei für die russischen Teilnehmer unserer Wandergruppe ein Toast ausgebracht, denn Sie begehen am 7. Januar das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest. Und hierfür darf der Autor sicherlich im Namen der deutschen Leser sprechen, wenn wir Ihnen frohe und besinnliche Tage wünschen und auf Ihr Wohl ein Glas Sekt erklingen lassen – natürlich in Dur.

Auf der Hindenburgstraße (ul. Kosmonawta Leonowa) erreichen wir ein Schulgebäude von 1905, das um 1923 nach Norden erweitert wurde. Auf unserer bisherigen Strecke haben wir es kurz gestreift (KE Nr. 11/2020). Es handelt sich um das Hufen-Oberlyzeum, ein privates Gymnasium für Mädchen. 1921 erwarb der Staat diese Schule für die Luisenstiftung aus Posen, das nach dem Ersten Weltkrieg an Polen gefallen war. Viele Lehrer aus Posen kamen damals nach Königsberg und konnten hier ihren Beruf weiterführen.

Die Luisenstiftung selbst war am 19. Juli 1811 in Berlin gegründet worden, dem ersten Todestag der Königin Luise. „Die tiefgebeugten Bewohner des preußischen Staates wollten ihrer ,allverehrten Königin‘ ein Denkmal setzen“, hieß es in einem zeitgenössischen Dokument.  Und so gründeten engagierte Bürger eine Schule für Mädchen. Der König und prominente Persönlichkeiten schlossen sich an: Wilhelm von Humboldt mit Ideen für den Schulaufbau und seinem Einfluss als Minister für Kultus und Bildung, Heinrich von Kleist, der diese Bildungsanstalt seiner Cousine als Arbeitsplatz empfahl, und auch der Heeresreformer General von Gneisenau, der gleich seine vier Töchter auf die Luisenschule schickte (am Roßgärter Tor befindet sich übrigens heute noch ein Medaillon mit seinem Portrait, es ist dort das rechte Bildnis).

Und 1923 kam dieses Gebäude zur Luisenstiftung. Für die Königsberger Schülerinnen muss der nördliche Anbau ein Tort gewesen sein, denn die Bauarbeiten erfolgten bei laufendem Unterricht. Zwei Schülerinnen wurden von Stanislaus Cauer für eine Büste portraitiert, die heute noch auf den früheren Schulhof blicken. Die eine Schülerin (welche die damals als „Affenschaukel“ bezeichneten Zöpfe trägt) ist Elisabeth Heitmann, die Tochter des Amalienau-Architekten Friedrich Heitmann.

Und hier wollen wir kurz mit einem Gedenken anschließen, denn die Stadtgeschichte berichtet nicht nur Erbauliches. In späteren Jahren lebten Elisabeth‘s Schwiegereltern hier ganz in der Nähe. Das alte Ehepaar wollte Königsberg nicht verlassen. Die Frau starb Ende April 1945 und wurde von ihrem Mann auf diesem Schulhof beigesetzt (der Mann starb im September 1945 in den Yorck-Kliniken). Und so schaut Elisabeth bis heute nicht nur auf diesen Schulhof, sondern auch auf das Grab ihrer Schwiegermutter. Es gibt kein Denkmal, das daran erinnert, und man könnte auch keines schaffen – zu groß ist der Kummer, den die Vergangenheit leider auch bereit hält.

Königsberg hat viele solcher stillen, stummen Gräber; man wird sie nicht zählen können. Doch wenn man Anteil nimmt, und daraufhin sein eigenes Leben versucht, nach dem Guten auszurichten, mit Orientierung auf ein Miteinander, dann kann ein ideelles, ein dauerhaftes Denkmal geschaffen werden. Ein Denkmal, dessen Wirkung die Gegenwart bereichert wie Sterne, die auf einem dunklen Grund leuchten.

Übrigens ging in den Nachkriegsjahren ein russischer Junge auf diese Schule, der später selbst zu den realen Sternen fliegen sollte. Sein Name ist Juri Romanenko, und obwohl in Koltubanowski (Oblast Orenburg ) 1944 geboren, ging er nach dem Umzug der Eltern auf diese Schule. Als Kommandant der Raumstation „Saljut 6“ hatte er 1977 seinen ersten Einsatz im All. 1978 und 1980 wurde er zum Held der Sowjetunion erklärt. Die sowjetische Post gestaltete damals eine Briefmarke mit seinem Konterfei.

Zwei weitere Kosmonauten stehen ebenfalls in Beziehung zu dieser Stadt: Alexej Leonow, 1934 in Kemerowo (Westsibiren) geboren und mit seiner Familie 1948 nach Kaliningrad gezogen. Er verließ als erster Mensch sein Raumschiff und schwebte, nur durch eine Leine gesichert, frei im Weltraum. Und schließlich Viktor Pazajew, geboren 1933 in Aktjubinsk (Sowjetrepublik Kasachstan). 1971 kam er bei der Sojus-11-Mission durch einen plötzlichen Druckabfall in der Kabine tragisch ums Leben. Nach ihm ist ein Museumsschiff in Kaliningrad benannt. Zum Andenken an diese Persönlichkeiten ist eine Hauswand gestaltet worden, ein Denkmal steht auf der gegenüberliegenden Seite der Hufen.

Wir biegen links auf die Hufenallee (Prospekt Mira) ab. Das Haus Nr. 44 sieht unscheinbar aus, doch sein früherer Zweck führt von den Sternen zurück auf den harten Boden der Ökonomie. Hier war eine Filiale der Sparkasse Königsberg. Das Sparkassenwesen entstand im 18. Jahrhundert in Deutschland. Es hatte von Anfang an den Zweck, breiten Bevölkerungsschichten die Teilnahme am Geldverkehr zu ermöglichen – sei es zum Ansparen von Rücklagen, zur Teilnahme am Zahlungsverkehr und im 20. Jahrhundert auch vermehrt zur Kreditaufnahme.

1818 wurde die Berliner Sparkasse gegründet, doch erst als 1838 eine allgemeingültige, gesetzliche Grundlage für die Sicherheit der Spargelder und für eine öffentlich-rechtliche Trägerschaft gegründet wurde, blühte das Sparkassenwesen auf. In Königsberg stand einst auf den Hufen ein architektonisch hochinteressantes Gebäude. Es enthielt ein Kunstwerk von Hermann Brachert. Dieser hatte zwei weibliche Figuren erschaffen, welche die Sparsamkeit und die Verschwendung darstellen. Wenn Sie auf dem Foto (rechts unten) den linken Eingang betrachten, an dem gerade die Dame vorbeigeht, sehen Sie die Sockel, auf denen die „Sparsamkeit“ und die „Verschwendung“ standen.

Die Kunstwerke sind verschollen, von einer Zerstörung ist jedoch nichts bekannt. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie eines Tages wieder ans Tageslicht kommen und vielleicht auch wieder hier stehen werden. Auch dies ein Detail, das zeigt, wie sehr das Früher und das Heute in dieser Stadt miteinander verwoben sind.

Jörn Pekrul