Diese Fibel in Form eines Wagenrades oder Steuerrades eines Schiffes gehört zu den wertvollsten Funden der Kaliningrader Archäologen. Foto: gov39.ru

Funde aus Zeiten der Völkerwanderung

Ausgrabungen auf der Halbinsel Sambia (dt.: Samland) haben wertvolle Artefakte zutage gebracht.

An der Stelle der geplanten Weiterführung der Autobahn „Ostseering“ haben Archäologen ein altes Gräberfeld mit Überresten von Menschen und Pferden sowie Waffen, Schmuck und weiteren Gegenständen entdeckt. Die geplanten Ausgrabungen können Kaliningrad in den Rang einer der wichtigsten archäologischen Forschungsstätten in Russland aufsteigen lassen.

„Wir haben Grabstätten von Reitern mit einem Pferd, manchmal sogar mit drei Pferden entdeckt“, berichtete der Leiter der Sambischen Expedition des Archäologischen Institutes der Akademie der Wissenschaften Russlands Konstantin Skworzow. „Es könnte sich um ein ganzes Gräberfeld mit zirka 2.000 Gräbern handeln.“ Das Institut hat beschlossen, umfangreiche Grabungen vorzunehmen, da es sich um die größte Fundstelle aus der Zeit der Völkerwanderung handelt, das heißt aus dem 4. bis 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Zu diesem Zweck wird ein Forscherteam aus russischen und ausländischen Forschern, Anthropologen und Spezialisten auf dem Gebiet der Glas-, Buntmetall- und Goldverarbeitung gebildet.

Gouverneur  Alichanow machte sich mit den Ergebnissen der archäologischen Untersuchungen bekannt. Er schlug die Eröffnung eines Museums im Gebiet vor, in dem die Fundstücke präsentiert werden könnten. Die Gebietsregierung sei bereit, diese Initiative finanziell zu unterstützen.

Zur Information: Wissenschaftlern war bereits seit geraumer Zeit bekannt, dass sich im nordwestlichen Teil der Halbinsel Sambia ein uraltes Gräberfeld befindet. Dessen erste Erwähnungen datieren aus den 1860er Jahren. Mitarbeiter des Archäologischen Institutes der Akademie der Wissenschaften haben dort 2013 und zwischen 2015 und 2017 gegraben. Sie untersuchten zirka 50 Grabstätten und fanden zahlreiche Gegenstände aus Keramik, Eisen, Bronze, Silber, Bernstein, Glas und Karneol. Archäologen gehen davon aus, dass sich in der Nähe der Fundstelle im 4. bis 5. Jahrhundert n. Chr. eine größere Siedlung befunden haben muss. Experten zählen diese Ausgrabungsstätte zu den größten Nekropolen der Halbinsel Sambia.

Warum befindet sich der Fundort gerade hier, auf dem freien Feld?

Das Feld befindet sich im Landkreis Selenogradsk, in einer Gegend, die einst dicht besiedelt war. Warum, ist klar: Die Meeresküste war nah und man konnte nach Seestürmen am Strand Bernstein sammeln. Das taten Menschen auch im Mittelalter sehr gern.

„Ja, diese Gegend war in der Tat einst sehr dicht besiedelt“, stimmt der Archäologe Konstantin Skworzow zu. „Stellen Sie sich vor: Ganz in der Nähe befindet sich eine frei zugängliche Bernsteinlagerstätte als Quelle permanenten Reichtums. Daher diese Bevölkerungsdichte. Es gab hier auch sonstige Vorzüge, wie beispielsweise Land- und Wasserstraßen, über die man günstig das Haff erreichen konnte. Bernstein war eine gefragte Handelsware.“

Das von Gras befreite Feld ist voller Gruben unterschiedlicher Tiefe und Größe. Sie stellen Reste altertümlicher Grabstätten dar und enthalten menschliche Gebeine und Pferdeknochen. Verstorbene wurden im 4. bis 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung verbrannt. Mehrere Archäologen sind in einer engen Sandgrube dabei, Überreste eines Pferdes auszugraben. Der Schädel und die Beinknochen des Tieres sind bereits freigelegt, auch metallene Teile des Pferdegeschirrs sind zu sehen. Aestianer, die hier vor den Prußen siedelten, bestatteten ihre Verstorbenen nach einem besonderen Brauch. „Sterbliche Überreste eines Menschen wurden mit denen seines Pferdes begraben“, sagt der Archäologe Iwan Rastorgujew und fährt fort, einen zähnefletschenden Pferdeschädel von Sand zu säubern. „Man gab meist auch ein kleines Gefäß mit etwas Nahrung, ein Messer, Schmuckperlen oder weitere Gegenstände aus dem persönlichen Besitz des Verstorbenen mit ins Grab.“

Grabräuber kamen zuvor

Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts verpflichtete der Deutsche Orden die Samländer, Feldsteine zum Bau von Kirchen und Festungen zu sammeln und jährlich eine bestimmte Menge davon an den Orden als eine Art Steuer zu entrichten. Das Volk begann, Steine, mit denen Grabhügel von oben bedeckt waren, auszugraben und entdeckte dabei, dass darunter oft Gegenstände aus Eisen, Bronze, Silber, Gold oder Glas zum Vorschein kamen. Somit war das Grabräubertum geboren. Wir sehen heute überall Spuren davon. Ein Grabräuber konnte auf diese Weise innerhalb eines Monats reich werden, während ein einfacher Bauer zu so viel Geld nur durch eine jahrelange und harte Feldarbeit kommen konnte.

„Wer einigermaßen Glück hatte, konnte bereits nach einem Monat eine Kuh kaufen“, sagt Skworzow. „Dieses Gräberfeld wurde aber auch viel später, im 19. Jahrhundert, ausgeraubt. Wir sehen hier Spuren davon, was verwunderlich ist, denn das Gräberfeld war damals nirgendwo auf Karten eingezeichnet. Deutsche Archäologen begannen hier erst Anfang des 20. Jahrhunderts zu graben.“

Jüngster und wertvollster Fund – eine Fibel

Es vergeht kein Tag, an dem die Archäologen nicht erstaunliche Dinge entdecken. Manche Fundstücke überraschen durch ihre Einzigartigkeit. So handelt es sich beispielsweise beim jüngsten Fund um eine sogenannte Fibel, eine frühgeschichtliche kunstvolle Spange oder Nadel aus Metall aus dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Ihre Form erinnert an ein Rad oder Steuerrad eines Schiffes. „Fibeln dieser Form kommen äußerst selten vor“, erläutert Skworzow. „Bisher wurde nur ein einziges Stück dieser Art entdeckt – noch vor dem Ersten Weltkrieg, in einem Gräberfeld auf dem Territorium der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen. Sie ging jedoch im Zweiten Weltkrieg verloren. Es handelt sich also bei unserem Fund um die einzige heute bekannte Fibel dieser Art.“

Historischen Nachlass schätzen und wahren lernen

Es gibt im Landkreis Selenogradsk Hunderte historischer Denkmäler. Viele von ihnen werden leider nicht in Verzeichnissen geführt. „Wir Wissenschaftler bedauern das sehr“, unterstreicht Skworzow. „Historische Denkmäler verkommen schnell. Ehe man sich versieht, ist an der Stelle eines Grabhügels ein öder Fleck Erde. Schuld daran tragen weniger Grabräuber als Baufirmen, die in Tagebauen Sand fördern oder leere Flächen bebauen. Viele historische Stätten, die in mittelalterlichen Sagen erwähnt werden, sind dadurch unwiderruflich zerstört worden. Das bedeutet aber, dass uns ein Teil unserer eigenen Geschichte abhandenkommt. Obwohl wir keine Nachkommen der hiesigen Bevölkerung von damals sind, ist es unsere Pflicht, die Geschichte dieses Landstriches und dessen historischen Nachlass zu wahren.“

Alexander Kateruscha