Wie baut man eine Traumstadt am Wasser?
Vom 17. bis 19. Juni 2021 fand im Kaliningrader Gebiet das deutsch-russische Forum „Perspektive. Die Stadt am Wasser“ statt.
Die Ausrichtung des Forums wurde vom Partnerschaftsbüro des Landes Brandenburg in Kaliningrad initiiert und vom Goethe-Institut Moskau und dem Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg unterstützt.
Zentrales Thema der Veranstaltung war die Planung von an Flüssen und Seen gelegenen Städten, die somit „am Wasser“ stehen. Laut Dr. Stephan Stein, Partnerschaftsbeauftragter des Landes Brandenburg für die Ostseeregionen Russlands, wurde das Thema Urbanistik in Anbetracht der aktuellen Stadtentwicklung ausgewählt, denn Kaliningrad will als Stadt schöner und als touristisches Ziel attraktiver werden. Ebenso Tschernjakhowsk, das ehemalige Insterburg, und Polessk, früher Labiau, wollen ihre Wasserressourcen intensiver nutzen und in die Stadtentwicklung integrieren. Diese drei Städte waren die Veranstaltungsorte des Forums, auf dem Architekten und Stadtplaner aus Kaliningrad, Moskau, Sankt Petersburg, Kazan und Irkutsk ihre Projekte vorstellten und diskutierten. Wie der Oberbürgermeister von Potsdam Mike Schubert in seinem digitalen Grußwort treffend bemerkte, erwies sich die Veranstaltung als eine gute Möglichkeit „für den Austausch von Ideen und Lösungen auf kommunaler Ebene“.
Der Leiter der Kaliningrader regionalen Abteilung des Russischen Architektenverbandes Pjotr Tschernenko sprach zur Problematik städtischer Küstenareale und Wasserflächen in Kaliningrad, die Präsidentin der Stiftung „Nationales Kulturerbe“ Natalija Wolynskaja aus Moskau präsentierte die Bebauungspläne der Insel Oktjabrskij. Die Sankt Petersburger Architektin Jana Golubeva berichtete von ihren Erfahrungen bei der Untersuchung und Projektierung der Küstenterritorien und Kleingewässer in der russischen „Kulturhauptstadt“ Sankt Petersburg. Oleg Wasjutin aus Kaliningrad erklärte das architektonische und städtebauliche Konzept der territorialen Entwicklung am Seehafen Pionerskij, früher Neukuhren.
Auch in Tschernjakhowsk wurde viel über Konzeptionen diskutiert, dabei spielte die architektonische Geschichte der ehemaligen Insterburg eine wesentliche Rolle. Dazu sprachen der Kaliningrader Historiker Wladimir Wlassow und die Sankt Petersburger Architektin Natalia Kunitskaja. Einen Einblick in die Tätigkeit des regionalen Fonds für Generalreparaturen gab sein Generaldirektor Oleg Turkin. Die Hauptaufgabe dieses Fonds besteht in der Restaurierung von Altbauten; zuweilen handelt es sich um ganze Stadtviertel, wie in Zheleznodorozhnyj, ehem. Gerdauen. Der historische Kern dieser Kleinstadt nahe der russisch-polnischen Grenze wurde 2019–2020 aufwendig saniert. Dadurch entwickele sich die Stadt zu einem Touristenmagneten. Auch Tschernjakhowsk will die historische Kulturlandschaft „Stadttal (ehem. Schützental)“ ausbauen und die Gästezahl damit steigern. Bei einer Stadtführung konnten sich die Teilnehmer des Forums selbst davon überzeugen, dass die entsprechenden Arbeiten bereits begonnen haben. In Polessk wiederum wird an den Entwürfen noch gearbeitet. Die Kreisstadtverwaltung nutzte die Gelegenheit, die Meinungen der russischen Fachkollegen zum Revitalisierungskonzept des Stadtzentrums einzuholen und wichtige Ratschläge und Impulse für die weitere Präzisierung des Konzeptes zu erhalten.
Der wichtigste Gast des Forums war der deutsche Star-Architekt Volkwin Marg, der „architektonische Vater“ des weltbekannten Hamburger „Hafencity“-Projektes, Mitgestalter der Revitalisierung des Industrie-Geländes des Hamburger Freihafens – eines der größten und wichtigsten Projekte dieser Art in Deutschland und Europa in jüngster Zeit. Während seines fast zweistündigen Vortrages berichtete Marg von seinen eigenen Arbeitserfahrungen in Spanien, China und eben in Hamburg. Neben den etwa 70 Teilnehmern in der Aula der Kaliningrader Staatlichen Technischen Universität konnten sich Interessenten online dazuschalten.
Professor Marg nutzte den Aufenthalt im Kaliningrader Gebiet, um die Wirkungsstätte eines seiner Lehrer, des Architekten Hans Scharoun zu besuchen, die sogenannte „Bunte Reihe“ in Tschernjakhowsk, eine Reihenhaussiedlung von Anfang des 20. Jahrhunderts. In Polessk war Volkwin Marg vor allem von der Natur begeistert und ermunterte die lokalen Architekten, ganz im zeitgenössischen Geiste des naturnahen Bauens das „landschaftliche Paradies“, wie er Polessk bezeichnete, intakt zu halten, damit hier eine von vielen Urlaubern gesuchte „Entschleunigung“ angeboten werden könne.
Das Wasser spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung öffentlicher Freiräume, man denke an Kais, Parks und städtische Plätze. Es ist für eine Stadt von außerordentlich großer Bedeutung, einen für alle zugänglichen öffentlichen Raum zu haben, der die Kommunikation zwischen den Stadteinwohnern ermöglicht. Darüber hinaus wird Wasser als kompositorisches und sinnbildendes architektonisches Element immer wichtiger, insbesondere bei der städtischen Bebauung. Das Forum „Perspektive. Die Stadt am Wasser“ hat dies allen Teilnehmern gut veranschaulicht und damit wichtige Impulse für die weitere Arbeit gegeben.
Dr. Stephan Stein fasste zusammen: „Wir sind auf der deutschen wie auf der russischen Seite einig, dass der Dialog zwischen den Menschen, ungeachtet aller Schwierigkeiten, aufrechterhalten werden muss. Ich finde, dass wir auf diese Weise gegenseitig lernen, die Herausforderungen unserer Gesellschaften zu meistern. Wir haben unterschiedliche Gesellschaftsmodelle. Es zeigt sich aber, dass Lösungen trotz der Unterschiede für beide Seiten lehrreich sind.“
Swetlana Kolbanjowa