Königsberger Dom als Erinnerungsort
Was halten Sie von der Idee, den Königsberger Dom in Kaliningrad mit Immanuel Kants Grabstätte zu einem intereuropäischen Begegnungsort zu machen? Die Oblast Kaliningrad könnte so für Westeuropa zu einem Fenster nach Russland und für Russland zu einem Fenster gen Westen werden.
Angesichts sich rapide abkühlender europäisch-russischer Beziehungen kam mir die Frage, was man auf der zivilen Ebene tun könnte, um diesen Prozess aufzuhalten. Hierbei fiel mir auf, dass Europa das Gebiet Kaliningrad offenbar mehr als störenden Fleck anstatt als Chance begreift, hier einen Begegnungs- und Erinnerungsort zu schaffen, um bestenfalls die Beziehungen zwischen Europa und Russland auf einem partnerschaftlichen Niveau zu regeln. Diese Idee möchte ich im Folgenden skizzieren, um hierdurch einen hoffentlich fruchtbaren Diskurs anzustoßen.
Hierbei spielt die Geschichtlichkeit des Kaliningrader Gebietes eine zentrale Rolle. Immerhin handelt es sich um das ehemalige Ostpreußen mit seiner Hauptstadt Königsberg – heute eine unverkennbar russische Stadt mit deutscher oder vielmehr europäischer Vergangenheit. Durch das britische Bombardement im Jahre 1944 wurde die Innenstadt beinahe komplett ausgelöscht – die (sinnlosen) Kämpfe vom 6. bis zum 9. April 1945 taten ihr Übriges. Heute ist der Königsberger Dom auf der alten Kneiphofinsel (nunmehr Kant-Insel oder einfach nur Insel) das einzige Gebäude aus der Gründerzeit der Stadt und verbindet die moderne Stadt Kaliningrad mit der Geschichte der Stadt Königsberg.
Schon wegen ihrer Geschichtlichkeit (die hier nur rudimentär angegeben werden konnte) eignet sich die Stadt Kaliningrad hervorragend, um einen transnationalen Erinnerungsort jenseits von nationalen Kategorien darzustellen. Die Person, die als früher Weltbürger und Konstrukteur für den „ewigen Frieden“ gilt, kam gebürtig aus der Pregelstadt und wurde an der Nordostseite des Domes beigesetzt. Sie lehrte an der Albertina, die sich ebenfalls an der Nordostseite des Gotteshauses befand. Die Rede ist selbstverständlich von Immanuel Kant. Kant entwarf in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ verschiedene Ideen, wie ein dauerhafter Frieden zwischen den Völkern und Staaten zu erschaffen sei. Er führte Begriffe, wie die der Staatssouveränität und das Verbot der Einmischung anderer Staaten in selbige sowie das Prinzip der Hospitalität in seinen Entwurf ein. Letzteres Prinzip sollte bei der Etablierung eines Erinnerungsortes im Vordergrund stehen, hierzu soll möglichst einfach erklärt werden, was Kant hierunter verstand. Er beschrieb damit „[…] das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden.“ Denn „[…] ursprünglich [habe] aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht […], als der andere.“ Dies als Prämisse für einen gemeinsamen Erinnerungsort, der Europa einen soll, muss wohl an erster Stelle stehen, denn Kants Schriften und Erkenntnisse sind ein gesamteuropäisches Erbe, das das Denken von uns Europäern bis heute prägt. Zur Sicherung des ewigen Friedens sah Kant einen föderal organisierten Bund von freien Staaten, die miteinander in eine Art des bürgerlichen Rechtsverhältnisses träten, um Konflikte nicht im Naturzustande (dem Kriege), sondern nach Regeln des Rechts, mithin der Vernunft beizulegen (Kant, „Zum ewigen Frieden“).
Häufig wird Kant als Wegbereiter der EU und der vereinten Nationen gelesen. Anlässlich seines 300-jährigen Geburtstages am 22. April 2024 schlage ich daher vor, dass sich alle europäischen Staaten ungeachtet dessen, ob sie sich in der EU befinden oder nicht, auf dieses gemeinsame Erbe besinnen und Kaliningrad, das alte Königsberg, als ein gesamteuropäisches kulturelles Erbe verstehen – ich schließe hier Russland eindeutig mit ein, denn Russland ist ein integraler Bestandteil von Europa und ein friedliches Europa kann es nur mit Russland geben. Darum schlage ich vor, dass der Dom zu Kaliningrad mit Immanuel Kants Grabstätte zu einem intereuropäischen Begegnungsort werden sollte, um die Oblast Kaliningrad für Westeuropa zu einem Fenster nach Russland und für Russland zu einem Fenster Richtung Westen zu machen.
Auf dass Kaliningrad zu einem Brückenkopf und Begegnungsort der europäischen Staaten werde – ganz im Kant´schen Sinne der allgemeinen Hospitalität. Denn Kant ist ein gesamteuropäisches, vielleicht sogar ein Menschheitserbe.
Lars Göran Fernkorn, Hamburg