Seite 1 der ersten Ausgabe der „Neuen Zeit“ für die deutschsprachige Bevölkerung des Gebietes vom 24.6.1947. Quelle: Russische Nationalbibliothek St. Petersburg

1947/1948: Eine Zeitung für die Deutschen im Gebiet

Vom 24. Juni 1947 bis 16. Oktober 1948 gaben die sowjetischen Behörden in Kaliningrad die „Neue Zeit“ heraus, eine Zeitung für die deutschsprachige Bevölkerung des Gebietes.

Die Auflagenstärke betrug 5.000 Exemplare. Die Zeitung im A3-Format (anfänglich bis Mitte September 1947 etwas kleiner) erschien zweimal wöchentlich, meist am Donnerstag und Sonntag, bestand aus einem einzigen, auf der Vorder- und Rückseite bedruckten Blatt, kostete 20 Kopeken und konnte auch abonniert werden. In der Redaktion arbeiteten neben sechs sowjetischen auch vier bis fünf deutsche Mitarbeiter, die als Übersetzer, Sekretärin und Korrektoren zum Einsatz kamen.

Häufig machte Seite 1 der „Neuen Zeit“ mit einem Leitartikel analog der sowjetischen Presse auf, so zum Beispiel anlässlich des 30. Jahrestages der Oktoberrevolution am 7. November 1947, der dann auch ausnahmsweise ein Freitag sein durfte. Im Weiteren wurde den Errungenschaften in der sozialistischen Produktion landesweit und im Kaliningrader Gebiet viel Platz eingeräumt. Für Kaliningrad wurden dabei regelmäßig verdiente Werktätige namentlich genannt, darunter viele Deutsche, und ihre Tätigkeit inklusive monatlichem Verdienst beschrieben. Häufig kamen Arbeiter, Bauern, Handwerker, Lehrer und medizinisches Personal auch selbst in der Zeitung zu Wort.

In der Rubrik „Aus der Sowjetunion“ erschienen vor allem Wirtschaftsmeldungen aus den verschiedenen Regionen des riesigen Landes sowie Informationen über gesellschaftliche und kulturelle Jubiläen. Neben ausgewählten internationalen Meldungen wurde auch aus den vier Besatzungszonen Deutschlands berichtet, freilich bereits Position gegen die ehemaligen alliierten Verbündeten beziehend. Selten finden sich Fotos in der Zeitung, die meist staatliche oder kulturelle Institutionen oder Betriebe der Sowjetunion zeigen bzw. herausragende Werktätige oder bekannte Persönlichkeiten darstellen. Teilweise wurden auch Stellenanzeigen veröffentlicht.

Die 137 Ausgaben der „Neuen Zeit“ sind bis auf einige wenige Ausnahmen in der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg erhalten. Auch das Staatsarchiv des Kaliningrader Gebietes verfügt über 26 Ausgaben der Jahre 1947-1948, das  Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst über 47 Ausgaben des Jahres 1948.

Interessant bleibt die Frage, warum 1947, als die Aussiedlung der Deutschen in die Sowjetische Besatzungszone bereits im Gespräch war, noch Energie und Geld in eine deutschsprachige Zeitung investiert wurden. Und 1948, als die Züge mit den ausreisenden Ostpreußen immer häufiger Stadt und Gebiet Kaliningrad verließen, findet sich keine Information darüber in der „Neuen Zeit“. Am 16. Oktober 1948 verabschiedet sich die Zeitung mit dem kleinen Vermerk, dass ihr Erscheinen mit dem heutigen Tage eingestellt wird.

Im aktuellen Jahr 2021 möchten wir eine Zeitreise unternehmen und einige Artikel der „Neuen Zeit“ nachdrucken. Wir beginnen im März mit Informationen zu deutschen Schulen im Kaliningrader Gebiet ab 1946.

Alexandra Jelitte