Manche Kaliningrader meinen, das Rätehaus stehe in gewisser Weise für unsere Gegenwart. Foto: Juri Mokroussow

Rätehaus wird abgetragen

Die Würfel sind gefallen: Im Februar oder März 2021 soll der Rückbau der Bauruine Rätehaus beginnen. Dies gab Gouverneur Anton Alichanow in einer Sitzung der Gebietsduma bekannt.

Das Gebäude soll bis zum Fundament abgetragen und an derselben Stelle in etwas abgewandelter Form wiedererrichtet werden. Es sei beschlossen worden, auf eine großangelegte Bebauung des anliegenden Geländes zu verzichten und eine „grüne Fußgängerzone“ anzulegen. Nach wie vor sollen jedoch ein Büro- und Verwaltungskomplex mit anliegendem Wohnviertel entstehen.

Planungen zufolge ziehen in das dann neugebaute Rätehaus Verwaltungseinheiten der Gebietsregierung ein. Die Bauunterlagen für das neue Projekt sollen bis zum Jahresende fertiggestellt werden. Die Baukosten werden auf 2 bis 3 Milliarden Rubel geschätzt. Als Investor trete eine größere ortsansässige Baufirma auf, die sich bereit erklärt habe, alle Baukosten zu übernehmen.

Um das Vorhaben komplex umsetzen zu können, hat man beschlossen, die Entwicklungsbehörde des Kaliningrader Gebietes zum Eigentümer des Grundstückes zu erklären.

Zur Information: Man schrieb das Jahr 1970, als auf den Ruinen des gesprengten preußischen Königsschlosses mit dem Bau des 21-stöckigen Rätehauses begonnen wurde. Aus mehreren Quellen verlautet, dass seinen Architekten das von Oscar Niemeyer errichtete Gebäude des Nationalkongresses in Brasilien Modell gestanden habe.

Planungen zufolge sollte das Rätehaus spätestens 10 Jahre nach Baubeginn fertig sein. Die Baustelle musste jedoch wegen Geldmangels und konstruktionstechnischer Stabilitätsprobleme zeitweilig stillgelegt werden. 1991 war das Rätehaus zu 95 Prozent fertig, die Räume in einem seiner zwei Türme waren sogar tapeziert und die Fußböden mit Parkett ausgelegt. Der Zerfall der Sowjetunion zog jedoch unter das Bauvorhaben endgültig einen dicken Strich.

In den Nachfolgejahren war der Rohbau sich selbst überlassen und verkam. 2005 wurden Fenster eingesetzt und ein Außenanstrich vorgenommen. Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2018 wurde ein neues Nutzungskonzept für das Rätehaus und das umliegende Gelände erarbeitet. Das Gebäude sollte demnach zu Ende gebaut werden und zahlreiche Büros beherbergen. Das Gelände davor war als städtischer Freizeitbereich, ein Areal für Fußballfans und eine Springbrunnenreihe geplant. Es fand sich sogar ein Investor, der bereit war, im Gebäude des Rätehauses ein Design- und IT-Zentrum zu eröffnen. Das Konzept wurde dennoch nur zu einem geringen Teil Wirklichkeit.

Der Beschluss über den Rückbau der Bauruine „Haus der Räte“ stieß in der Öffentlichkeit auf geteilte Meinungen. Architekten und Bauingenieure, die teilweise selbst an der Errichtung des Hauses beteiligt waren, gaben zu bedenken, dass das Gebäude heute noch über eine „kolossale Standfestigkeit“ verfüge, so dass sich sein Rückbau viel aufwendiger als das Errichten des Neubaus erweisen könnte.

So meint beispielsweise Valerij Pimenow, Dekan der Bau-Fakultät der Technischen Universität Kaliningrad: „Ein Rückbau des Hochhauses muss äußerst detailliert vorbereitet werden. Technische und ganz besonders Sicherheitsfragen haben dabei oberste Priorität. Schon einmal ist es zu einem tragischen Unfall mit menschlichen Opfern beim Rückbau der Berliner Brücke am Pregel (ehem. Palmburger Brücke – Anm. der KE-Red.) gekommen. Das Rätehaus steht inmitten der Stadt, der stark befahrene Moskowskij Prospekt verläuft in unmittelbarer Nähe. Die einfachste Lösung wäre, die Bauruine zu sprengen, wie seinerzeit das Königsschloss. Die Sprengung muss fachgerecht und gezielt erfolgen, damit im Endeffekt ein kompakt niedergegangener Bauschutt aus Stahlbeton und Eisenteilen auf entsprechenden Deponien entsorgt werden könnte. Ein etagenweiser Rückbau des Gebäudes wäre jedoch äußerst aufwendig und kaum berechenbar. Das Haus steht bereits seit über vierzig Jahren unvollendet unter freiem Himmel. Man weiß nie, auf welche Probleme man dabei trifft…“

Gouverneur Anton Alichanow unterstrich hingegen kürzlich vor Journalisten, dass eine Sprengung des Rätehauses nicht in Frage komme, weil dadurch vorhandene Versorgungsleitungen beschädigt werden könnten. Man favorisierte eine Abtragung des Gebäudes und die Verwendung der Rückstände als Souvenirs und für den Straßenbau. Auch das Fundament müsse entfernt werden, weil dort eine Tiefgarage für das neu zu errichtende Gebäude geplant sei.

Das Verhältnis der Stadtbewohner zum Rätehaus ist zwiespältig. Einerseits hat eine Bauruine nichts jahrzehntelang mitten in der Stadt zu suchen. Andererseits haben sich die Kaliningrader an den riesigen Bau gewöhnt und betrachten ihn als eine Art Denkmal an den Zusammenbruch ihres „Sowjettraums“, in dem sie so lange verweilt haben.