Von Kiel nach Baltijsk mitsegeln
Unsere Leserin Michaela Lehmann erzählt über ihre Segelfahrt mit dem Segelschulschiff „Sedov“. Das hier ist der zweite Teil ihres Berichtes. Den ersten Teil finden Sie in der Februar-Ausgabe (Nr. 2/2020) unserer Zeitung „Königsberger Express“ (Print- oder Internetversion).
Da ich einziger Trainee an Bord war, bekam ich dieses Mal eine Mannschaftskabine zugeteilt und durfte auch mit der Stammbesatzung essen. So konnte ich auch fleißig meine Russischkenntnisse ausprobieren. An Bord gibt es stets vier Mahlzeiten: Frühstück um 7.30 Uhr, Mittagessen um 11.30 Uhr, Tea-Time um 15.30 Uhr und Abendessen um 19.30 Uhr. Tea-Time ist eine Mahlzeit, die bei Trainees anfänglich immer zu Verwunderungen führt, da es sich dabei keineswegs um, wie die meisten vermuten, eine Art Kaffee und Kuchen handelt. Dieser Nachmittagssnack kann eigentlich alles sein, von Fisch mit Pellkartoffeln über einen Teller mit Cornflakes bis hin zu den leckersten Hefeteilchen mit Mohn, die ich kenne, wofür man den Bäcker der „Sedov“ wirklich lieben muss!
Fast während des gesamten Törns hatten wir Segel gesetzt. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie die Besatzung und die Kadetten bei Segelalarm tags oder nachts zusammenarbeiten und es plötzlich ganz still wird, wenn der Motor abgeschaltet wird. Auf der „Sedov“ stehen nach wie vor vier Kadetten in vierstündigem Wechsel am Steuerrad und das bei Wind und Wetter. Ich habe selbst schon dort gestanden und diese vier Stunden können je nach Seegang wirklich sehr lang werden.
Bevor die „Sedov“ in einen Hafen einläuft, steht ein „Großputz“ an und so war auch ich zum Deckschrubben eingeteilt. Was immer mit viel Schaum und Meerwasser vonstattengeht. Außerdem besichtigte ich wieder den Maschinenraum und bekam vom Chefmechaniker alles sehr genau erklärt. Ich bin immer wieder begeistert, wenn ich in die Tiefen des Maschinenraums hinabsteigen kann. Der Chefmechaniker erklärte stolz, der Maschinenraum sei das Herz der „Sedov“, während die Brücke ihr Gehirn sei. Die Brücke konnte ich ebenfalls jederzeit besuchen. Ganz wichtig ist natürlich auch der Segelmacher an Bord, von dem ich schon bei anderen Törns viel erklärt bekam.
Während der Fahrt erfuhr ich, dass die „Sedov“ nicht bis nach Kaliningrad fahren würde. Da sie möglichst schnell wieder mit neuen Kadetten auslaufen wollte, sollten wir in Baltijsk bleiben. Das Wetter war während des Törns teilweise recht stürmisch und als wir in Baltijsk ankamen, gingen wir, wie viele andere Schiffe, vor Anker und mussten warten. Aufgrund der stürmischen See war die Einfahrt in den Kanal gesperrt. Zwei Tage warteten wir vor Baltijsk und keiner wusste, wann dieser wieder geöffnet werden würde.
Die Kadetten taten mir sehr leid, hatten sie sich doch schon auf ein Wiedersehen mit ihren Familien gefreut und saßen nun an Deck mit „glühenden“ Smartphones. Die Begrüßungszeremonie der Akademie musste verschoben werden. Nach zwei Tagen wurde der Kanal morgens geöffnet und wir konnten in Baltijsk einlaufen. Für mich war das Einlaufen in Baltijsk etwas ganz Besonderes. Aus Erzählungen, Berichten und Büchern wusste ich von den Schiffen, die von Pillau aus zuletzt noch Menschen aus Ostpreußen über die Ostsee gebracht hatten. Und nun kam ich auf einem russischen Segelschulschiff in Baltijsk (ehemals Pillau) an, das war für mich sehr bewegend.
Als wir in einem Containerterminal angelegt hatten, wurde es an Bord sehr hektisch. Kadetten schleppten ihre Taschen und Koffer von Bord. Neue Kadetten erklommen mit ihrem Gepäck die Gangway und verschwanden in den Luken. Die letzte Gruppe der eingelaufenen Kadetten tat mir sehr leid, da diese in strömendem Regen in ihren dünnen Uniformen mit Gepäck zum Ausgang des Containerterminals laufen mussten, wo hoffentlich jemand auf sie wartete. Die Stammbesatzung war inzwischen damit beschäftigt, Unmengen von Proviant zu laden. Der Proviant wird mit Hilfe einer Seilwinde in den Bauch der „Sedov“ herabgelassen.
Dann kam aber die Zeit, als auch ich das Schiff verlassen musste und ich mich auf den Weg zum Ausgang des Containerterminals begab. Es ist immer etwas traurig, wenn man die „Sedov“ verlässt, da man nicht genau weiß, wann und wo man die orangefarbenen Masten wiedersehen wird.
Im vergangenen Dezember ist die „Sedov“ in Kaliningrad ausgelaufen und befindet sich nun wie die anderen beiden russischen Segelschulschiffe „Pallada“ und „Krusenstern“ auf Weltumsegelung. Erst im kommenden Dezember wird sie wieder zurückkehren. Im Jahr 2021 wird sie dann ihren 100. Geburtstag feiern.
Ich wünsche der „Sedov“, ihrem Kapitän Jewgenij Romaschkin, ihrer Besatzung und den Kadetten alles Gute und dass sie wohlbehalten wieder zurückkehren. Natürlich hoffe ich auch, die „Sedov“ sehr bald wiederzusehen.